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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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unnachgiebiger anfühlt – und doch ist es zu früh für Schnee, es sei denn, ein launisches Unwetter bringt welchen mit, der dann aber ganz schnell wieder wegschmilzt.
    Aus irgendeinem Grund verspürte der Vorarbeiter einen starken Wunsch, mit Melony fortzuziehen; er war selbst überrascht, als er laut murmelte: »Ich hoffe, es schneit bald.«
    »Was?« sagte eine der Apfelmarktfrauen.
    »Bis dann!« rief der Vorarbeiter Melony nach, aber sie antwortete ihm nicht.
    »Gott sei Dank ist sie weg«, sagte eine der Frauen im Markt.
    »Die Nutte«, sagte eine andere.
    »Wieso Nutte?« fragte der Vorarbeiter scharf. »Mit wem habt ihr sie schlafen sehen?«
    »Sie ist nur eine Landstreicherin«, sagte eine von ihnen.
    »Wenigstens ist sie interessant«, zischte der Vorarbeiter. Die Frauen musterten ihn einen Moment.
    »Bist in sie verknallt, oder?« fragte schließlich eine von ihnen.
    »Ich möchte wetten, du wärest gern dieser Freund, den sie sucht«, sagte eine andere, was unter den Marktfrauen höhnisches Gelächter auslöste.
    »Das ist es nicht!« schnauzte der Vorarbeiter zurück. »Ich hoffe, sie wird diesen Freund niemals finden – um seinetwillen!« sagte der Vorarbeiter. »Und um ihretwillen«, fügte er hinzu.
    Die Frau, deren fetter Ehemann versucht hatte, Melony zu vergewaltigen, wandte sich von dem Gespräch ab und öffnete die große Thermoskanne auf dem Tisch neben der Registrierkasse; doch als sie versuchte, sich Kaffee einzuschenken, kam kein Kaffee, sondern Gifthafer und Giftmais heraus. Wenn Melony die anderen wirklich hätte vergiften wollen, dann wäre sie zurückhaltender gewesen mit den Mengen. Es war eindeutig nur eine Botschaft, und die Apfelmarktfrauen betrachteten diese so stumm, als versuchten sie, Gebeine zu lesen.
    »Seht ihr, was ich meine?« fragte der Vorarbeiter sie. Er suchte sich einen Apfel aus dem Ausstellungskorb auf der Theke und tat einen herzhaften Biß; der Apfel hatte so lange in der Kälte draußen gelegen, daß er halb gefroren und mehlig war und der Vorarbeiter ihn sofort ausspuckte.
    Es war sehr kalt auf der Straße zur Küste, aber vom Wandern wurde Melony warm; außerdem blieb ihr, da kein Verkehr war, nichts anderes übrig als zu wandern. Als sie die Schnellstraße an der Küste erreichte, brauchte sie nicht mehr lange auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten. Ein bleicher, aber vergnügter Junge, der einen Lieferwagen steuerte, hielt vor ihr an.
    »Yarmouth – Farben und Schellack, stets zu Diensten«, sagte der Junge zu Melony; er war etwas jünger als Homer Wells und – in Melonys Augen – längst nicht so weltlichhübsch anzuschauen. Der Lieferwagen roch nach Beize und Firnis und Karbolineum. »Ich bin ein Holzbehandlungsfachmann«, sagte der Junge stolz zu ihr.
    Bestenfalls ein Handelsvertreter, dachte Melony; wahrscheinlich sogar eher ein Auslieferungsfahrer. Sie lächelte schmal, um ihre ausgeschlagenen Zähne nicht zu zeigen. Der Junge zappelte nervös und erwartete so etwas wie eine Begrüßung von ihr. Jeden kann ich binnen kaum einer Minute nervös machen, dachte Melony.
    »Äh, wohin willst du?« fragte der Junge – während der Lieferwagen dahinschwankte.
    »In die Stadt«, sagte Melony.
    »Welche Stadt?« fragte der Junge.
    Jetzt erlaubte Melony ihren Lippen, sich zu einem Lächeln zu öffnen, und der erschrockene Junge starrte auf die betrübliche Geschichte ihres Mundes.
    »Sag du’s mir«, sagte Melony.
    »Ich muß nach Bath«, sagte der Junge nervös. Melony starrte ihn an, als ob er gesagt hätte, er müsse ein Bad nehmen.
    »Bath«, wiederholte sie.
    »Es ist eine Stadt, sozusagen«, sagte der Holzbehandlungsfachmann.
    Claras Stadt! hätten Dr. Larch oder Homer Wells Melony sagen können – die gute alte Clara war aus Bath nach St. Cloud’s gekommen! Doch das wußte Melony nicht, und sie hätte sich auch nicht darum geschert; ihre Beziehung zu Clara war eine von der unangenehm eifersüchtigen Art gewesen. Homer Wells kannte Clara intimer als Melony. Vielleicht hätte es Melony interessiert, daß sie in Bath viel näher an Ocean View sein würde als auf der York-Farm – daß es vielleicht sogar Einwohner von Bath gab, die von einem Obstgarten namens Ocean View gehört hatten; den Weg nach Heart’s Haven oder nach Heart’s Rock jedenfalls hätten ihr viele Einwohner von Bath beschreiben können.
    »Willst du nach Bath?« fragte der Junge sie vorsichtig. Wieder zeigte Melony ihm ihre schadhaften Zähne und schenkte ihm nicht eigentlich ein

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