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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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lassen, sah Mary Agnes Cork die Frauen vom Bahnhof den Hügel heraufschreiten. Sie sehen nicht schwanger aus, dachte Mary Agnes.
    Auf dem kahlen Hügel, wo Wally Worthington sich einst Apfelbäume vorgestellt hatte, versuchte Klein Copperfield einen Pappkarton durch den ersten nassen Schnee zu lenken. Der Karton hatte einmal vierhundert sterile Schambinden enthalten; Copperfield wußte das, weil er den Karton ausgepackt hatte –, und er hatte am Fuß des Hügels den kleinen Steerforth in den Karton gepackt. Nah beim Gipfel ging ihm allmählich sein Fehler auf. Steerforth bergauf zu schleppen war schon schwierig genug gewesen, aber inzwischen hatte das Gewicht des Jungen in Verbindung mit dem pappigen Schnee den Boden des Kartons aufgeweicht. Copperfield fragte sich, ob sein Behelfsschlitten wohl rutschen würde – falls er mit dem Mist überhaupt jemals oben auf dem Gipfel ankommen würde.
    »Gute Nacht, Smoky!« sang Steerforth.
    »Halt die Fnauze, du Fimpel«, sagte David Copperfield.
    Dr. Larch war sehr müde. Er ruhte sich in der Apotheke aus. Das graue Winterlicht machte die weißen Wände grau, und einen Moment fragte sich Larch, welche Tageszeit es sei – und welche Jahreszeit. Von nun an, dachte er, laß alles, was ich tu, mit gutem Grund geschehen. Laß mich keine unnützen Schritte tun.
    Vor seinem inneren Auge sah er den richtigen Winkel, in dem das Spekulum ihm einen perfekten Blick auf die Cervix gewährte. Wessen Cervix? fragte er sich. Sogar in seinem Ätherschlaf zogen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand die Schraube für die Backen des Spekulums fest, und er sah das erstaunlich blonde kleine Schamhaarbüschel, das sich in den Haaren seines Unterarms verfangen hatte. Es war so blond, daß er es auf seiner eigenen hellen Haut beinah übersehen hätte. Als er seinen Unterarm schüttelte, war das kleine Büschel so leicht, daß es in der Luft schwebte. In seiner Ätherohnmacht griff seine linke Hand danach und verfehlte es knapp. O ja – ihre Cervix, dachte Wilbur Larch. Wie war ihr Name?
    »Sie hat einen Puppennamen«, sagte Larch laut. »Candy!« erinnerte er sich. Dann lachte er. Schwester Edna, die an der Apotheke vorbeiging, hielt die Luft an und lauschte auf das Gelächter. Aber auch wenn sie nicht atmete, tränten ihre alten Augen von den Dämpfen. Und vom Sägestaub. Und von den Waisenkindern, die ihr auch manchmal Tränen in die Augen trieben.
    Sie öffnete die Eingangstür zum Spital, um frische Luft in den Flur zu lassen. Auf dem Hügel sah sie einen Pappkarton seine unstete Abfahrt machen; sie wußte, daß sterile Schambinden in dem Karton gewesen waren, was er jetzt enthielt, vermochte sie nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Etwas Schweres, denn er rutschte holpernd und stockend den Hang hinunter. Zuweilen gewann er an Fahrt und glitt beinah sanft dahin, dann aber warf ein Stein oder ein blanker Fleck im Schneematsch ihn immer wieder aus der Bahn und bremste ihn ab. Der erste kleine Körper, der aus dem Karton rollte und sich einen Weg den Berg hinab bahnte, gehörte Steerforth; sie erkannte seine übergroßen Handschuhe und die Skimütze, die ihm immer in die Augen hing. Ein Weilchen purzelte er fast so schnell wie der Karton, aber ein großer Fleck blanker, gefrorener Erde brachte ihn plötzlich zum Stillstand. Schwester Edna sah ihn wieder bergauf, nach einem seiner Handschuhe klettern.
    Der zweite, größere Körper, der aus dem Karton kullerte, gehörte offenbar David Copperfield; er rollte frei dahin, ein großes, aufgeweichtes Stück Karton in seinen beiden Händen. Der Karton schien sich im Fluge aufzulösen.
    »Feiße!« schrie Copperfield. Wenigstens, fand Schwester Edna, wurden Klein Copperfields Obszönitäten durch sein Lispeln etwas gemildert.
    »Machen Sie die Tür zu«, sagte Dr. Larch auf dem Flur hinter Schwester Edna.
    »Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen«, sagte Schwester Edna spitz.
    »Da hätten Sie mich leicht hinters Licht führen können«, sagte Wilbur Larch. »Ich dachte, Sie wollten die Ungeborenen einfrieren.«
    Womöglich wird das in Zukunft der Weg sein, dachte Schwester Edna – und überlegte, welche Wege die Zukunft wohl gehen würde.
     
    Im dezemberlichen Schwimmbecken trieb das Gummifloß, auf dem sich Senior Worthington oft ausgeruht hatte, immer noch im Wind vom einen Beckenende zum anderen und brach die spitzenfeinen Eiskanten auf, die sich am Bekkenrand wieder und wieder bildeten. Olive und Homer hatten das Wasser zu einem Drittel

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