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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Homer, sich immer vorstellen, daß sie Wally mehr geliebt hatte. Die Wirklichkeit wird für Waisen oft durch ihre Ideale überflügelt; wenn Homer sich Candy wünschte, so wünschte er sie sich ideal. Damit Candy sich für Homer entscheiden konnte, mußte Wally am Leben sein; und weil Homer Wally liebte, wünschte er sich Wallys Segen dazu. Wäre alles andere nicht für alle Beteiligten kompromittierend gewesen?
    Wilbur Larch war geschmeichelt, daß Homer ihn um Rat gefragt hatte – und ausgerechnet in einer romantischen Liebesangelegenheit! (»Wie soll ich mich Candy gegenüber verhalten?« hatte Homer gefragt.) Der Alte war es so sehr gewöhnt, eine Autorität zu sein, daß er es ganz natürlich fand, als Autorität zu sprechen – »Sogar bei einem Thema, von dem er nichts versteht!« sagte Schwester Angela entrüstet zu Schwester Edna. Larch war so stolz auf das, was er Homer geschrieben hatte, daß er seinen Brief den alten Schwestern zeigte, bevor er ihn abschickte.
    »Hast Du vergessen, wie das Leben ist in St. Cloud’s?« fragte Dr. Larch Homer. »Hast Du Dich so weit fortbewegt von uns, daß Du ein Leben der Kompromisse für unannehmbar hältst? Ausgerechnet Du, eine Waise! Hast Du vergessen, Dich nützlich zu machen? Denke nicht so schlecht über Kompromisse; wir können nicht immer wählen, auf welche Weise wir uns nützlich machen. Du sagst, Du liebst sie – dann mache Dich nützlich für sie. Es ist vielleicht nicht das, was Du Dir vorgestellt hast, aber wenn Du sie liebst, mußt Du ihr geben, was sie braucht – wann sie es braucht und nicht unbedingt dann, wenn Du den Zeitpunkt für richtig hältst. Und was kann sie Dir von sich geben? Nur das, was ihr geblieben ist – und wenn das nicht alles ist, was Du Dir vorgestellt hast, wessen Schuld ist es dann? Wirst Du sie nicht nehmen, weil sie Dir nicht 100 Prozent von sich geben kann? Etwas von ihr ist über Birma – wirst du den Rest zurückweisen? Wirst Du es auf Alles oder Nichts ankommen lassen? Und nennst Du das, Dich nützlich zu machen?«
    »Es ist nicht sehr romantisch«, sagte Schwester Angela zu Schwester Edna.
    »Wann war Wilbur jemals romantisch?« fragte Schwester Edna.
    »Ihr Ratschlag ist furchtbar utilitaristisch«, sagte Schwester Angela zu Dr. Larch.
    »Na, das will ich hoffen!« sagte Dr. Larch und klebte den Brief zu.
    Jetzt hatte Homer eine Gefährtin in seiner Schlaflosigkeit. Er und Candy bevorzugten die Nachtschicht im Spital von Cape Kenneth. Wenn es eine Flaute gab in ihrer Arbeit, durften sie auf den Betten in der Kinder-Quarantänestation dösen. Homer fand den Krach der ruhelosen Kinder tröstlich – ihre Nöte und Schmerzen waren vertraut, ihr Wimmern und Schreien und ihre nächtlichen Schrecken halfen ihm über seine eigene Angst hinweg. Und Candy fand, daß die zugezogenen schwarzen Gardinen im nächtlichen Krankenhaus der Trauer angemessen seien. Die geltenden Verdunkelungsvorschriften – die sie und Homer beim Fahren zum und vom Spital beachten mußten, nachdem es dunkel geworden war – waren ebenfalls nach Candys Geschmack. Sie benutzten bei solchen Gelegenheiten Wallys Cadillac – sie durften nur mit Standlicht fahren, und die Cadillac-Standlichter waren die hellsten. Auch dann noch schienen die dunklen Küstenstraßen kaum beleuchtet; sie fuhren im Trauerzugtempo. Hätte der Bahnhofsvorsteher in St. Cloud’s (einstmals der Bahnhofsvorstehergehilfe) sie vorbeifahren sehen, er hätte abermals geglaubt, sie führen in einem weißen Leichenwagen.
    Meany Hyde, dessen Frau Florence in anderen Umständen war, sagte zu Homer, daß er sicher sei, sein neues Baby würde etwas von Wallys Seele haben (falls Wally wirklich tot war) – und falls Wally am Leben wäre, so sagte Meany, würde die Ankunft eines neuen Babys ein Sinnbild sein für Wallys Entrinnen aus Birma. Everett Taft sagte zu Homer, daß seine Frau Big Dot von Träumen heimgesucht worden sei, die nur bedeuten konnten, daß Wally bemüht war, mit Ocean View Verbindung aufzunehmen. Sogar Ray Kendall, der seine Unterwasser-Interessen auf Torpedos und Hummer verteilte, sagte, er »lese« in seinen Hummerreusen, womit er meinte, daß er den Inhalt der aus der Tiefe gezogenen Fallen einer Deutung für würdig hielt. Unberührte Köder waren ein besonderes Zeichen; wenn die Hummer (die wirklich Totes als Nahrung bevorzugen) den Köder nicht angenommen hatten, so mußte dies bedeuten, daß sich im Köder ein lebender Geist manifestierte.
    »Und du weißt, ich bin

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