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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nicht religiös«, sagte Ray zu Homer.
    »Richtig«, sagte Homer.
    Weil Homer Wells viele Jahre damit verbracht hatte, sich zu fragen, ob seine Mutter jemals wiederkehren und Anspruch auf ihn erheben würde, ob sie auch nur an ihn dachte, ob sie am Leben sei oder tot, konnte er sich besser mit Wallys ungeklärtem Status abfinden als die andern. Eine Waise versteht, was es bedeutet, wenn jemand Wichtiges »nur einfach verschollen« ist. Olive und Candy, die Homers Gefaßtheit mit Gleichgültigkeit verwechselten, waren manchmal leicht ungehalten über ihn.
    »Ich tu nur, was wir alle tun müssen«, sagte er mit besonderem Nachdruck zu Candy. »Ich warte einfach ab.«
    Es gab wenig Feuerwerk an diesem Vierten Juli; zum einen hätte es gegen die Verdunkelungsvorschriften verstoßen, und zum anderen wäre eine Simulation von Bomben und Gewehrfeuer eine Respektlosigkeit denjenigen unter »unseren Jungs« gegenüber gewesen, die der echten Musik ausgesetzt waren. Im nächtlichen Spital von Cape Kenneth zelebrierten die Hilfspfleger und Schwesternhelferinnen eine stille Feier zum Unabhängigkeitstag, die nur gestört wurde durch die Hysterie einer Frau, die eine Abtreibung von dem jungen und herrschsüchtigen Dr. Harlow verlangte, der meinte, sich ans Gesetz halten zu müssen. »Aber es ist Krieg!« entgegnete die Frau. Ihr Mann war tot; er war im Pazifik gefallen; sie hatte das Telegramm vom Kriegsministerium dabei, um es zu beweisen. Sie war neunzehn und noch nicht ganz im dritten Monat schwanger.
    »Ich spreche gerne wieder mit ihr, sobald sie Vernunft annimmt«, sagte Dr. Harlow zu Schwester Caroline.
    »Wieso sollte sie sich vernünftig benehmen?« fragte Schwester Caroline ihn.
    Homer verließ sich in bezug auf Schwester Caroline auf seinen Instinkt; außerdem hatte sie ihm und Candy erzählt, daß sie Sozialistin sei. »Und ich bin nicht hübsch«, fügte sie wahrheitsgemäß hinzu. »Darum bin ich nicht auf eine Ehe aus. Wär ich jetzt so dran wie sie, würde man von mir erwarten, daß ich mich dankbar zeige – oder mich zumindest glücklich schätze.«
    Die hysterische Frau wollte sich nicht beruhigen, vielleicht, weil Schwester Carolines Herz nicht bei der Sache war. »Ich verlange ja nichts Heimliches!« schrie die Frau. »Warum sollte ich dieses Baby bekommen müssen?«
    Homer Wells fand einen Zettel Papier, mit Spalten für Laboranalysen. Er schrieb folgendes quer über die Spalten:
Fahren sie nach St. Cloud’s, fragen sie nach dem Waisenhaus. 
    Er gab den Zettel Candy, die ihn an Schwester Caroline weitergab, die ihn betrachtete, bevor sie ihn der Frau gab, die augenblicklich aufhörte, sich zu beschweren.
    Als die Frau gegangen war, forderte Schwester Caroline Homer und Candy auf, sie zur Apotheke zu begleiten.
    »Ich will euch sagen, was ich normalerweise tue«, sagte Schwester Caroline, als sei sie wütend auf die beiden. »Ich führe eine perfekt sichere Dilatation aus, ohne Kürettage. Ich erweitere nur die Cervix. Ich mache das in meiner Küche, und ich bin sehr vorsichtig. Sie müssen natürlich noch ins Krankenhaus. Man könnte glauben, sie hätten versucht, es selber zu machen, aber es gibt keine Infektion oder Verletzung; sie haben einfach eine Fehlgeburt gehabt. Sie haben eine D gehabt, ohne die C. Alles, was sie noch brauchen, ist eine gute Ausschabung. Und die Mistkerle müssen mitmachen – da ist diese Blutung, und es ist klar, daß die Frau es bereits verloren hat.« Sie hielt inne und funkelte Homer Wells an. »Du bist auch darin ein Experte, nicht wahr?«
    »Richtig«, sagte Homer.
    »Und du weißt eine bessere Möglichkeit als meine?« fragte sie.
    »Nicht so viel besser«, sagte er. »Es ist eine vollständige D und C, und der Arzt ist ein Gentleman.«
    »Ein Gentleman«, sagte Schwester Caroline zweifelnd. »Was kostet der Gentleman?«
    »Er ist kostenlos«, sagte Homer.
    »Ich bin ebenfalls kostenlos«, sagte Schwester Caroline.
    »Er bittet um eine Spende für das Waisenhaus, wenn die Betreffende es sich leisten kann«, sagte Homer Wells.
    »Wieso ist er nicht erwischt worden?« fragte Schwester Caroline.
    »Ich weiß nicht«, sagte Homer. »Vielleicht sind die Leute dankbar.«
    »Menschen sind auch nur Menschen«, sagte Schwester Caroline mit ihrer sozialistischen Stimme. »Du bist ein blödes Risiko eingegangen, es mir zu sagen. Und ein noch blöderes Risiko, es dieser Frau zu sagen – du kennst sie nicht einmal.«
    »Richtig«, pflichtete Homer bei.
    »Dein Doktor wird nicht lange

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