Gottes Werk und Teufels Beitrag
nicht so stolz darauf.«
Olive Worthington, allein in Wallys Zimmer, betrachtete die beiden Betten – Homers und Wallys Bett – beide waren frisch bezogen, beide Kopfkissen faltenlos. Auf dem Nachttisch zwischen ihren Betten stand eine Photographie von Candy, die zeigte, wie sie Homer schwimmen beibrachte.
Weil es in dem Zimmer der Jungen keinen Aschenbecher gab, hielt Olive ihre freie, hohle Hand unter den lang herabhängenden Aschekegel ihrer Zigarette.
Raymond Kendall, allein über dem Hummerbassin, betrachtete das Triptychon der Photographien, das wie ein Altarbild auf seinem Nachttisch stand, neben seinem Satz Steckschlüssel. Auf der Photographie in der Mitte war er selbst als junger Mann; er saß auf einem unbequem wirkenden Stuhl, seine Frau auf seinem Schoß; sie war mit Candy schwanger; der Stuhl war in offensichtlicher Gefahr. Auf der Photographie links war Candy als Collegeabgängerin, auf der rechts waren Candy und Wally zu sehen – mit ihren Tennisschlägern aufeinander zielend, wie mit Gewehren. Ray hatte kein Bild von Homer Wells; er brauchte nur aus dem Fenster auf seinen Anlegesteg zu schauen, um Homer deutlich vor sich zu sehen; Ray konnte nicht seinen Steg anschauen und an Homer Wells denken, ohne die Schnecken ins Wasser regnen zu hören.
Schwester Edna hatte versucht, etwas vom Abendbrot für Homer und Candy warm zu stellen; sie hatte das enttäuschende Schmorfleisch in den Instrumentensterilisator gesteckt, den sie von Zeit zu Zeit kontrollierte. Mrs. Grogan, die in der Mädchenabteilung das Gebet sprach, sah den Cadillac nicht den Hügel heraufkommen. Schwester Angela war im Entbindungssaal und rasierte eine Frau, bei der schon das Fruchtwasser abgegangen war.
Homer und Candy gingen an der leeren, hell erleuchteten Apotheke vorbei; sie spähten in Schwester Angelas leeres Büro. Homer wußte sich etwas besseres, als in den Entbindungssaal zu spähen, solange das Licht an war. Aus dem Schlafsaal hörten sie Dr. Larchs vorlesende Stimme. Auch wenn Candy ihn fest an der Hand hielt, hatte Homer doch große Lust, da hinüberzuhasten – um die Gutenachtgeschichte nicht zu verpassen.
Florence, Meany Hydes Frau, wurde eines gesunden Knäbleins entbunden – neun Pfund, zwei Unzen –, und zwar kurz nach dem Erntedankfest, das Olive Worthington und Raymond Kendall auf eine recht förmliche und stille Art in Ocean View begingen. Olive hatte alle ihre Apfelarbeiter in ihr offenes Haus eingeladen; sie bat Ray, bei diesem Anlaß als Gastgeber zu fungieren. Meany Hyde beteuerte gegenüber Olive, sein neues Baby sei entschieden ein Zeichen dafür, daß Wally am Leben war.
»Ja, ich weiß, daß er am Leben ist«, sagte Olive ruhig zu Meany.
Es war kein allzu beschwerlicher Tag für sie, aber sie fand Debra Pettigrew auf Homers Bett sitzend, die Photographie anstarrend, auf der Candy Homer schwimmen beibrachte. Und nicht lange nachdem sie Debra aus dem Zimmer geleitet hatte, entdeckte Olive Grace Lynch in derselben Mulde sitzend, die Debra auf Homers Bett gemacht hatte.
Grace aber starrte auf den Fragebogen vom Treuhänderausschuß von St. Cloud’s, den einen, den Homer nie ausgefüllt und an die Wand von Wallys Zimmer gepinnt hatte, als wären es ungeschriebene Regeln.
Und die dicke Dot Taft brach in der Küche in Tränen aus, während sie Olive von einem ihrer Träume erzählte. Everett habe sie im Schlaf gefunden, wie sie sich über den Boden des Schlafzimmers zur Toilette schleppte. »Ich hatte keine Beine«, erzählte Big Dot Olive. »Es war die Nacht, als Florences Junge geboren wurde, und ich wachte auf ohne Beine – nur wachte ich nicht wirklich auf, ich träumte nur, daß nichts von mir übrig war unter der Taille.«
»Nur daß du auf die Toilette mußtest«, betonte Everett Taft. »Warum wärst du sonst über den Boden gekrochen?«
»Das Entscheidende war, daß ich verletzt war«, sagte Big Dot ärgerlich zu ihrem Mann.
»Oh«, sagte Everett Taft.
»Der springende Punkt ist«, sagte Meany Hyde zu Olive, »mein Baby kam ganz normal zur Welt, aber Big Dot hat geträumt, daß sie nicht gehen konnte. Siehst du nicht, Olive?« fragte Meany. »Ich glaube, Gott will uns sagen, daß Wally in Ordnung ist – daß er am Leben ist, aber verletzt.«
»Er ist verwundet, oder irgendwie«, sagte Big Dot und brach erneut in Tränen aus.
»Natürlich«, sagte Olive kurz angebunden. »Das ist’s, was ich immer dachte.« Ihre Worte erschreckten sie alle – sogar Ray Kendall. »Wäre
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