Gottes Werk und Teufels Beitrag
Verachtung für Leute gemildert hätten, die ihr Leben so arg verpfuschten, daß sie die Kinder nicht haben wollten, die sie empfingen. Wilbur Larch hätte ihm sagen können, daß er lediglich ein arroganter junger Arzt sei, der noch nie krank gewesen war – daß er sich der Junge-Ärzte-Krankheit schuldig machte, wenn er ein krankhaftes Überlegenheitsgefühl gegenüber allen Patienten an den Tag legte. Aber Homer schwang das Ideal von Ehe und Familie wie eine Keule; er war sich der Richtigkeit seines Zieles sicherer als ein Ehepaar bei der Feier seines fünfundsechzigsten Hochzeitstages.
Er mochte sich vorgestellt haben, daß die heilige Weihe, in deren Zeichen er seine Verbindung mit Candy sah, wie ein Heiligenschein über dem jungen Paar schweben und ein sichtbares, verzeihendes Licht über sie und ihr Kind werfen würde, wenn sie zurückkehrten nach Heart’s Haven und Heart’s Rock. Er mochte sich gedacht haben, daß seine und Candys beste Absichten so hell erstrahlen würden, daß Olive und Ray und der ganze Rest dieser alleswissenden, nichtssagenden Gemeinschaft geblendet wären. Homer und Candy mochten sich ausgemalt haben, daß ihr Kind – empfangen in einem Augenblick der Liebe, der Wallys Verschwunden- oder Tot- oder »Nur-Verschollen«-Sein überstrahlte – begrüßt werden würde wie ein zur Erde herabgestiegener Engel.
Und darum genossen sie in diesem Winter in St. Cloud’s das Leben eines jungvermählten Paares. Nie war Sichnützlich-Machen so vergnüglich gewesen. Da gab es keine Aufgabe, für die sich die liebliche und zunehmend schwangere junge Frau zu erhaben befunden hätte; ihre Schönheit und ihre physische Energie wirkten ansteckend auf die Mädchen in der Mädchenabteilung. Dr. Larch unternahm es, Homer mehr über Pädiatrie beizubringen – da er nichts auszusetzen fand an Homers geburtshilflicher Technik und da Homer nachdrücklich bei seiner Weigerung blieb, an den Abtreibungen mitzuwirken. Seine diesbezügliche Hartnäckigkeit verblüffte sogar Candy, die gerne zu Homer sagte: »Erkläre es mir nur noch einmal – wieso du den Eingriff nicht mißbilligst, aber nicht selber mitwirken willst an etwas, das du für falsch hältst.«
»Richtig«, sagte Homer Wells; er hatte keine Zweifel. »Du hast es kapiert. Mehr gibt es nicht zu erklären. Ich glaube, eine Abtreibung sollte für jede Frau zugänglich sein, die eine möchte, aber ich möchte niemals eine durchführen. Was ist so schwer daran zu verstehen?«
»Nichts«, sagte Candy, aber sie fragte ihn immer wieder danach. »Du glaubst, es ist falsch, und doch glaubst du, daß es legal sein sollte – richtig?«
»Richtig«, sagte Homer Wells. »Ich glaube, es ist falsch, aber ich glaube auch, daß es die persönliche Entscheidung jedes einzelnen sein sollte. Was könnte einen persönlicher betreffen, als zu entscheiden, ob man ein Kind will oder nicht?«
»Ich weiß nicht«, sagte Candy, auch wenn ihr in den Sinn kam, daß sie und Homer »entschieden« hatten, daß Wally tot sei – was sie selbst besonders betraf.
In ihrem fünften Monat begannen sie, in getrennten Betten zu schlafen, aber sie rückten die Betten zusammen und versuchten sie zu beziehen, als sei es ein großes Bett, was ein Problem war, da es in St. Cloud’s keine Doppelbettlaken gab.
Mrs. Grogan wollte Homer und Candy Doppelbettlaken zum Geschenk machen, doch sie hatte kein eigenes Geld, um welche zu kaufen, und fragte sich auch, ob es nicht merkwürdig aussehen würde, sie für das Waisenhaus einzukaufen. »Sehr merkwürdig«, sagte Larch, der sein Veto gegen die Idee einlegte.
»In anderen Teilen der Welt hat man Doppelbettlaken«, schrieb Wilbur Larch in der Kurzen Geschichte von St. Cloud’s. »Hier in St. Cloud’s behelfen wir uns ohne – wir behelfen uns einfach ohne.«
Doch es war die schönste Weihnacht seit je in St. Cloud’s. Olive schickte so viele Geschenke, und Candys Beispiel – als die erste glückliche schwangere Frau, so lange sie alle sich erinnern konnten – war ein Geschenk für sie alle. Es gab einen Truthahn und einen Schinken, und Dr. Larch und Homer trugen einen Tranchierwettbewerb aus, den, wie alle sagten, Homer gewann. Er war mit dem Tranchieren des Truthahns fertig, bevor Larch mit dem Tranchieren des Schinkens fertig wurde.
»Na, Truthähne schneiden sich leichter als Schweine«, sagte Larch. Insgeheim war er sehr erfreut über Homers Messerkunst. Daß Homer seine Handfertigkeit im Schneiden unter anderen Bedingungen
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