Gottes Werk und Teufels Beitrag
Labor begrüßte (als wären sie seine alten Baseball-Teamkameraden).
»Ehrlich, Larch«, sagte der berühmte Bakteriologe eines Morgens, »wie Sie in dieses Mikroskop starren, sehen Sie aus, als heckten Sie einen Rachefeldzug aus!«
Es war aber nicht das Lächeln der Rache, das Dr. Ernst auf Wilbur Larchs Gesicht wiedererkannte, sondern nur die sanfte Tiefe der Ätherbetäubung, aus der Larch auftauchte. Der junge Medizinstudent hatte entdeckt, daß der leichte, schmackhafte Dampf ein sicherer, wirksamer Schmerztöter für ihn war. In jenen Tagen, als Larch die tanzenden Gonokokken bekämpfte, war er ein recht kenntnisreicher Ätherschnüffler geworden. Und als die barbarischen Gonokokken sich endlich von selbst ausgebrannt hatten, war Larch äthersüchtig. Er war ein Mann der offenen Tropf-Methode. Mit einer Hand hielt er sich einen Trichter über Mund und Nase; er machte die Maske selbst (indem er mehrere Schichten Mull um eine Tüte aus steifem Papier wickelte); mit der anderen Hand benetzte er den Trichter. Er nahm eine Viertelpfund-Ätherflasche, mit einer Sicherheitsnadel punktiert; die Tropfen, die vom Schenkel der Sicherheitsnadel fielen, fielen genau in der richtigen Größe und genau im richtigen Takt.
Seinen Patientinnen verabreichte er den Äther auf dieselbe Weise, nur daß er sich selbst viel weniger gab; wenn die Hand, die die Ätherflasche hielt, anfing zu zittern, stellte er die Ätherflasche ab; wenn die Hand, die den Trichter über Mund und Nase hielt, zur Seite sank, fiel der Trichter von seinem Gesicht – er blieb nicht an Ort und Stelle, wenn niemand ihn hielt. Er empfand nichts von der Panik, die ein ätherbetäubter Patient erlebt – er näherte sich nie dem Augenblick, da einem die Luft zum Atmen fehlt, sondern ließ die Maske stets kurz vorher fallen.
Als der junge Dr. Larch erstmals von der Zweigstelle Süd der Bostoner Entbindungsanstalt auszog, um in den Armenbezirken der Stadt Babys auf die Welt zu holen, gab es in seiner Seele einen Ort, wo der Friede des Äthers wohnte. Obwohl er Ätherflasche und Mulltrichter immer bei sich hatte, kam er oft nicht mehr dazu, die Patientinnen zu narkotisieren. Die Wehen waren oft viel zu weit fortgeschritten, als daß Äther der Frau noch genützt hätte. Natürlich setzte er ihn ein, wenn die Zeit reichte; denn die Auffassung mancher älterer Kollegen, daß Äther ein Abweichen vom einmal Vorgegebenen sei – daß Kinder unter Schmerzen geboren werden sollten –, konnte er nie teilen.
Sein erstes Kind brachte Larch bei einer litauischen Familie zur Welt, in einer unbeheizten Dachwohnung, die umliegenden Straßen voller zermatschter Früchte und zerfledderten Gemüses und Pferdemist. Es gab kein Eis, das er im Falle einer Blutung nach der Geburt auf den Unterleib, über den Uterus, hätte legen können. Heißes Wasser brodelte bereits in einem Kessel auf dem Herd, aber Larch hätte am liebsten die ganze Wohnung sterilisiert. Er schickte den Ehemann Eis holen. Er massierte das Becken der Frau, vermaß den Fötus, lauschte seinen Herzschlägen, während er eine Katze beobachtete, die mit einer toten Maus auf dem Küchenboden spielte.
Anwesend war eine künftige Großmutter; sie redete litauisch mit der Gebärenden. Mit Dr. Larch sprach sie eine merkwürdige Gebärdensprache, die ihn vermuten ließ, daß die künftige Großmutter schwachsinnig sei. Sie gab zu verstehen, daß ein großes Muttermal in ihrem Gesicht eine Quelle hysterischer Lust oder hysterischer Qual sei – welches von beiden, vermochte Larch nicht zu sagen; vielleicht wollte sie einfach, daß er es entfernte, entweder bevor oder nachdem er das Kind zur Welt gebracht hatte. Sie fand mehrere Möglichkeiten, das Muttermal vorzuzeigen – einmal, indem sie einen Löffel darunter hielt, als könne es gleich abfallen; ein andermal deckte sie es erst mit einer Teetasse ab und entblößte es dann plötzlich wie eine Überraschung oder als würde sie einen Zaubertrick vorführen. Doch der Eifer, den sie auf jede Entblößung des Muttermals verwandte, ließ Wilbur Larch vermuten, die alte Frau habe einfach vergessen, daß sie ihm ihr Muttermal bereits gezeigt hatte.
Als der Ehemann mit dem Eis zurückkam, trat er auf die Katze, die so mißbilligende Töne von sich gab, daß Wilbur Larch glaubte, das Kind sei schon geboren. Larch war dankbar, nicht die Zange benützen zu müssen; es war eine schnelle, sichere, laute Entbindung, gefolgt von der Weigerung des Ehemannes, das Baby zu waschen.
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