Gottes Werk und Teufels Beitrag
sogenannter Vater jenes Gesetzes von Maine, das seinerzeit die Prohibition einführte. Neal Dow war einmal als Präsidentschaftskandidat der Prohibitionspartei angetreten, hatte jedoch kaum zehntausend Stimmen auf sich vereinigt – was bewies, daß die Wählerschaft klüger war als Wilbur Larchs Mutter, die ihren Arbeitgeber anbetete und sich selbst eher als seine Mitstreiterin für die Sache der Temperenzreform betrachtete denn als seine Dienstmagd (die sie nun einmal war).
Interessanterweise war Wilbur Larchs Vater ein Säufer – keine geringe Leistung in Portland zu Bürgermeister Dows Tagen. Es war erlaubt, Reklame für Bier in den Schaufenstern zu machen – Scotch Ale und Bitter-Bier, das Wilbur Larchs Vater ausgiebig konsumierte; wer, so behauptete er, von dem schwachen Gebräu einen Rausch bekommen wolle, müßte es eimerweise trinken. Für Klein Wilbur wirkte sein Vater niemals betrunken – nie torkelte er oder lag im Stupor, nie brüllte er oder lallte beim Reden. Vielmehr machte er den Eindruck, fortwährend erstaunt zu sein und häufige und unverhoffte Offenbarungen zu erleben, die ihn auf der Stelle erstarren ließen, manchmal mitten im Satz, als sei ihm gerade etwas eingefallen (oder entfallen), was ihn seit Tagen beschäftigt hatte.
Er schüttelte viel den Kopf und verbreitete sein Leben lang die Fehlinformation, daß das 19 000-Tonnen-Schiff Great Eastern, das in Portland gebaut worden war, dazu bestimmt gewesen sei, den Nordatlantik zwischen Europa und Maine zu befahren. Wilbur Larchs Vater war der Meinung, daß die zwei besten Kaianlagen im Hafen von Portland speziell für die Great Eastern gebaut worden wären, daß das neue, riesige Hotel der Stadt eigens zu dem Zweck errichtet worden war, die Passagiere der Great Eastern aufzunehmen, und daß irgendein bösartiger oder zumindest korrupter, oder schlicht törichter Mensch dafür verantwortlich gewesen sei, die Great Eastern an der Rückkehr in ihren Heimathafen in Maine zu hindern.
Wilbur Larchs Vater hatte beim Bau der Great Eastern als Drechsler gearbeitet, und das Jaulen der Maschinen und das Ohrensausen, das er von dem vielen Bier bekam, hatten ihn vielleicht getäuscht. Die Great Eastern war nicht für Reisen nach und von Portland gebaut worden; sie war ursprünglich für die Australienroute bestimmt gewesen, doch die vielen Verzögerungen, bis sie vom Stapel lief, trieben ihre Besitzer in den Bankrott, so daß sie verkauft und dann auf der Nordatlantikroute eingesetzt wurde, für die sie sich als ungeeignet erwies. Sie war in Wahrheit ein Fehlschlag.
Wilbur Larchs Vater hatte also eine wirre Erinnerung an seine Tage als Drechsler, und er empfand beträchtlichen Abscheu vor der Temperenzreform, vor den Überzeugungen seiner Frau und vor ihrem Arbeitgeber, Bürgermeister Neal Dow höchstpersönlich. In den Augen von Wilbur Larchs Vater kehrte die Great Eastern wegen der Prohibition nicht nach Portland zurück – wegen jenes Fluchs, der ihm die öde, gallige Abhängigkeit von Scotch Ale und Bitter-Bier bescherte.
Da Wilbur seinen Vater erst in späteren Jahren kannte, als die Great Eastern verschwunden und sein Vater Gepäckträger auf dem Bahnhof Portland der Grand Trunk Railway war, konnte er sich nur ausmalen, wieso die Arbeit an einer Holzdrehbank der Höhepunkt im Leben seines Vaters gewesen sein sollte.
Als Junge war es Wilbur Larch nie in den Sinn gekommen, daß die fehlenden Finger seines Vaters die Folge von zu vielen Scotch Ales und Bitter-Bieren beim Bedienen der Drechselmaschine waren – »eben Unfälle«, sagte sein Vater – oder daß der temperenzlerische Reformeifer seiner Mutter die Folge der Degradierung eines Drechslers zum Gepäckträger sein könnte. Natürlich, so erkannte Wilbur später, waren seine Eltern Dienstboten; ihre Enttäuschung ließ Wilbur zu dem werden, was seine Lehrer einen Walfisch von einem Schüler nannten.
Obwohl er in der Bürgermeistervilla aufwuchs, benützte Wilbur Larch stets den Kücheneingang und aß seine Mahlzeiten mit den dienstbaren Geistern des großen Prohibitionisten; sein Vater trank seine Mahlzeiten unten bei den Docks. Wilbur Larch war ein guter Schüler, weil ihm die Gesellschaft von Büchern lieber war als die Temperenzlergespräche seiner Mutter mit Bürgermeister Dows Bediensteten.
Er ging auf das Bowdoin College und die Harvard Medical School – wo seine Begeisterung für Bakterien ihn beinah vom Arztberuf abgehalten, beinah ein Labortierchen oder zumindest einen
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