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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Die Großmutter erbot sich dazu, aber Larch fürchtete, daß sie in ihrer Mischung aus Erregung und Schwachsinn ein Unglück herbeiführen könnte. Während er ihr (in Ermangelung von Litauischkenntnissen) radebrechend zu verstehen gab, daß das Kind mit warmem Wasser und Seife gewaschen – aber nicht im Kessel auf dem Herd gekocht und nicht mit dem Kopf voraus unter den Kaltwasserhahn gehalten – werden solle, wandte Larch seine Aufmerksamkeit der Nachgeburt zu, die sich nicht lösen wollte. Aus der Art, wie die Patientin blutete, schloß Larch, daß er es bald mit einer gefährlichen Blutung zu tun haben würde.
    Er flehte den Ehemann an, ihm etwas Eis zu hacken – der starke Bursche hatte einen ganzen Block mitgebracht, sich zu diesem Zweck die Zange von der Firma ausgeliehen und stand jetzt, die Zange über der Schulter, in bedrohlicher Haltung in der Küche. Der Eisblock hätte die Uteri mehrerer blutender Patientinnen kühlen können; ihn als ganzen einer einzigen Patientin auf den Bauch zu legen hätte in jedem Fall den Uterus und womöglich auch die Patientin zermalmt. Da glitt das eingeseifte Kind der Großmutter aus den Händen und fiel zwischen das im Kaltwasserbecken eingeweichte Geschirr – und zwar genau in dem Moment, als der Ehemann abermals auf die Katze trat.
    Larch benutzte die Gelegenheit, daß Großmutter und Ehemann abgelenkt waren, packte den Fundus des Uterus der Patientin durch die Bauchdecke und drückte fest zu. Die Frau kreischte und umklammerte seine Hände; die Großmutter überließ das Baby zwischen dem Geschirr sich selbst, fiel Larch an der Taille an und biß ihn zwischen die Schulterblätter. Der Ehemann fischte mit einer Hand das Kind aus dem Spülstein, doch mit der anderen schwang er die Zange gegen Larch. Worauf ein glücklicher Wilbur Larch spürte, wie die Plazenta sich löste. Als er gelassen auf ihr Hervortreten hinwies, schienen die Großmutter und der Ehemann mehr von Ehrfurcht ergriffen als vor dem Kind. Nachdem er das Baby selber gewaschen und der Mutter Ergotin gegeben hatte, verbeugte er sich wortlos zum Abschied. Als er aus der Wohnung trat, hörte er überrascht, wie ein Tumult losbrach, kaum daß er die Tür geschlossen hatte. Die Großmutter, die eisgekühlte Patientin, der Ehemann: alle schrien auf litauisch – und das Baby trug stimmkräftig bei zu seinem ersten Familienkrach. Anscheinend waren die Entbindung und Dr. Larchs ganzer Auftritt nur eine kurze Unterbrechung in einem Leben voll unbegreiflichen Tumults gewesen.
    Larch taperte die dunkle Treppe hinunter; draußen trat er auf einen fauligen Salatkopf, der mit der beunruhigenden Weichheit eines Neugeborenenschädels unter seinem Fuß nachgab. Diesmal verwechselte er das schreckliche Jaulen der Katze nicht mit den Geräuschen, zu denen ein Kind fähig ist. Er blickte rechtzeitig auf, um das Objekt durchs Fenster der Litauerwohnung fliegen zu sehen. Rechtzeitig, um ihm auszuweichen. Es war eindeutig nach ihm geschleudert worden, und Larch fragte sich, welche spezifisch (möglicherweise) litauische Kränkung er diesen armen Leuten zugefügt habe. Schockiert sah Larch, daß es sich bei dem Objekt, das aus dem Fenster geworfen worden war – und jetzt tot zu seinen Füßen lag –, um die Katze handelte. Aber so sehr schockierte ihn das doch wieder nicht; eine flüchtige Sekunde lang hatte er befürchtet, es könne das Kind sein. Von seinem Gynäkologieprofessor in Harvard hatte er erfahren, daß »Neugeborene ein Wunder an Zähigkeit« seien, aber Larch, der wußte, daß Katzen Neugeborenen darin nicht nachstanden, stellte fest, daß das Tier seinen Sturz nicht überlebt hatte.
    »Hier in St. Cloud’s«, sollte Dr. Larch später schreiben, »bin ich dem South End von Boston ewig dankbar.« Er meinte, er sei dankbar für dessen Kinder und für das Gefühl, das sie ihm vermittelten: daß die Geburt vielleicht die sicherste Etappe ihrer Reise war. Larch wußte auch den derben Denkzettel zu schätzen, den die Prostituierten im South End ihm erteilt hatten. Sie brachten ihm das schmerzhafte Geschenk der Mrs. Eames in Erinnerung. Er konnte keine Prostituierte sehen, ohne sich ihre Bakterien unter dem Mikroskop vorzustellen. Und er konnte sich diese Bakterien nicht vorstellen, ohne sich nach der einlullenden Wärme des Äthers zu sehnen – nur eine Nasevoll; nur eine leichte Dosis (und ein leichtes Dösen). Er war kein Trinker, der Dr. Larch, und er machte sich nichts aus Tabak. Aber dann und wann half er

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