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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wußte nicht, daß Mrs. Eames eine Tochter hatte, die – laut eigener Aussage – weniger kostete als ihre Mutter und weder in Boston noch in Portland darauf erpicht war, ihr Ansehen zu wahren. Das verdrießliche Mädchen sprach kein Wort auf der Zugfahrt bis Boston Nordbahnhof; um so mitteilsamer waren ihr Zigarrenatem und ihr verächtlicher Blick. Wilbur erzählte seinem Vater nie, daß ein gewisser Widerspruch vorlag bei der Frage, in welcher Stadt Mrs. Eames nun eigentlich einen guten Ruf genoß, und er erzählte seinem Vater auch nie, daß er sich bei Mrs. Eames den Tripper eingefangen hatte, die vielleicht gar nicht wußte, daß sie ihn hatte.
    An der Medical School lernte Wilbur, daß Frauen manchmal jahrelang Gonorrhöe in ihren Eileitern haben können. Nur durch die Bildung eines Abszesses im Beckenraum konnte die Frau überhaupt erst merken, daß sie die Krankheit in sich trug. Die Symptome, Ausfluß und so weiter, blieben lange Zeit unbemerkt. Bei Wilbur blieben sie nicht unbemerkt; im jungen Wilbur lebte die bakterielle Infektion in jenen präpenizillinären Jahren monatelang und bescherte ihm sein leidenschaftliches Interesse für die Bakteriologie, bevor sie von selbst ausbrannte. Sie ließ seine Urethra vernarbt und seine Prostata steinhart zurück. Sie hinterließ ihm auch eine Schwäche für Äther – denn der Ätherschlaf, den er sich gelegentlich verabreichte, befreite ihn von dem brennenden Gefühl, das er sowohl beim Urinieren wie auch in seinen Träumen verspürte. Diese einmalige und schmerzhafte Begegnung mit sexueller Lust wie auch seine Erinnerung an die lieblose Ehe seiner Eltern überzeugten den künftigen Arzt, daß ein Leben in sexueller Enthaltsamkeit sowohl aus medizinischen als auch aus philosophischen Erwägungen vernünftig sei.
    Im gleichen Jahr, nämlich 188–, als Wilbur Larch Arzt wurde, starb Neal Dow. Aus Kummer folgte Wilbur Larchs Mutter ihrem Temperenzhelden bald darauf ins Grab. Ein paar Tage später versteigerte Wilburs Vater alle Sachen aus ihrer Dienstbotenkammer in der einstigen Bürgermeistervilla und fuhr mit der Grand Trunk Railway nach Montreal, einer weniger temperenzlerisch eingestellten Stadt als Portland, wo er seine Leber schrankenlos strapazierte. Sein Leichnam kehrte mit derselben Grand Trunk Railway nach Portland zurück, die den ehemaligen Drechsler fortgebracht hatte. Wilbur Larch kam an den Zug und spielte den Gepäckträger für die sterblichen Überreste seines Vaters. Nach den leichenartigen Zirrhotikern, die er in seinem ersten Assistentenjahr gesehen hatte, konnte sich Dr. Larch vorstellen, in was für einem Zustand sein Vater am Ende gewesen sein mußte. Die Zirrhose verwandelt die Leber in ein Gebilde aus Narben und Klumpen, die Gallenstauung färbt die Haut gelb, der Stuhl wird hell, der Urin wird dunkel, das Blut gerinnt nicht mehr. Dr. Larch bezweifelte, daß sein Vater die damit einhergehende Impotenz überhaupt bemerkt hatte. Nun hat aber beileibe der junge Larch den Entschluß, Gynäkologe zu werden, nicht gefaßt, weil der Verlust seiner Eltern ihn anspornte, mehr Kinder auf die Welt zu bringen – auf so eine Idee kämen nur unverbesserliche Romantiker. Der Weg, der Larch zur Gynäkologie führte, war mit Bakterien übersät. Der damalige Dozent für Bakteriologie an der Harvard Medical School, ein gewisser Dr. Harold Ernst, ist in die Baseballgeschichte eingegangen, weil er einer der ersten Pitcher im College-Baseball war, die den Ball mit einem steilen Drall warfen; er war auch der erste College-Baseball-Spieler, der Bakteriologe wurde. Frühmorgens im Labor, bevor Dr. Ernst – der einstige Drall-Ball-Werfer – eintraf, um seine Laborversuche vorzubereiten, war der junge Wilbur Larch allein. Doch er fühlte sich nicht allein in Gegenwart so vieler Bakterien, die in den kleinen Petrischalen oder in seiner Urethra und seiner Prostatadrüse gediehen.
    Er molk einen Tropfen Eiter aus seinem Penis auf einen gewöhnlichen, gefärbten Objektträger. Auf mehr als das Tausendfache vergrößert, waren die Schurken, die er jeden Morgen unter dem Mikroskop entdeckte, immer noch kleiner als gewöhnliche rote Ameisen.
    Jahre später sollte Larch schreiben, daß diese Gonokokken gebückt aussahen, wie zu große Besucher in einem Iglu. (»Sie bücken sich«, schrieb er, »als hätten sie eine Taille und verneigten sich voreinander.«)
    Der junge Larch starrte auf seinen Eiter, bis Dr. Ernst eintraf und seine lebenden kleinen Experimente überall im

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