Gottes Werk und Teufels Beitrag
hatte, und als er die verletzte Schlinge anhob, um die Öffnung zu schließen, fuhren seine Finger so leicht durch den Darm wie durch Gelatine. Falls alle ihre Organe aus demselben brüchigen Gelee bestanden, würde Mrs. Eames, das wußte Larch, nicht mehr lange leben.
Sie lebte noch drei Tage. In der Nacht, als sie starb, hatte Larch einen Alptraum – sein Penis fiel ihm aus den Händen; er versuchte ihn wieder anzunähen, aber er löste sich immer wieder auf; dann lösten sich seine Finger auf ähnliche Weise auf. Wie typisch für einen Chirurgen! dachte er. Finger sind wichtiger als Penisse. Wie typisch für Wilbur Larch!
Dies bestärkte Larch in seiner Überzeugung hinsichtlich sexueller Enthaltsamkeit. Was immer Mrs. Eames zerstört haben mochte, er wartete darauf, daß es auch ihn ereilen würde, aber die Autopsie, die von einem ausgezeichneten Pathologen durchgeführt wurde, wies auf eine andere Fährte.
»Skorbut«, sagte der Pathologe.
Ach, diese Pathologen, dachte Wilbur Larch. Skorbut! Und was noch alles?!
»Missus Eames war eine Prostituierte«, korrigierte Larch den Pathologen respektvoll. »Sie war kein Matrose.«
Der Pathologe aber war seiner Sache sicher. Es hatte nichts mit der Gonorrhöe zu tun, nichts mit der Schwangerschaft. Mrs. Eames war am Fluch der Seeleute gestorben; sie hatte keine Spur Vitamin C in sich, und, wie der Pathologe sagte: »Sie litt an Zersetzung des Bindegewebes und der damit verbundenen Neigung zu Blutungen.« Skorbut.
Obgleich ihm das rätselhaft blieb, überzeugte es Larch davon, daß es kein venerisches Rätsel war, und er konnte eine Nacht ruhig schlafen, bevor Mrs. Eames’ Tochter ihn aufsuchte.
»Ich bin doch nicht an der Reihe, oder?« fragte er schläfrig den Kollegen, der ihn wachrüttelte.
»Sie sagt, Sie wären ihr Arzt«, erklärte ihm der Kollege.
Er erkannte Mrs. Eames’ Tochter nicht wieder; einst hatte sie weniger gekostet als Mrs. Eames, jetzt würde sie mehr verlangt haben, als ihre Mutter je verdienen konnte. Wenn sie damals im Zug ein paar Jahre jünger als Larch gewirkt hatte, schien sie jetzt um etliche Jahre älter. Ihre Teenager-Verdrießlichkeit war einer ätzenden Keßheit gewichen. Ihr Make-up, ihr Schmuck und ihr Parfüm waren extravagant, ihr Kleid schlampig. Ihr zu einem dicken Zopf geflochtenes Haar, mit einer eingesteckten Möwenfeder, war so straff nach hinten gekämmt, daß die Schläfenadern und die Nakkenmuskeln hervortraten – als hätte ein gewalttätiger Liebhaber sie auf den Rücken geworfen und hielte sie dort an ihrem starken schwarzen Chinesenzopf fest.
Sie begrüßte Wilbur Larch, indem sie ihm ruppig eine Flasche mit brauner Flüssigkeit in die Hand drückte – ein stechender Geruch entwich durch den lecken Korkstöpsel. Das Etikett der Flasche war vor lauter Flecken völlig unleserlich.
»Das ist’s, was sie geschafft hat«, sagte das Mädchen knurrend. »Ich nehm’s nicht. Es gibt andere Mittel.«
»Ist das nicht Miss Eames?« fragte Wilbur Larch, nach ihrem denkwürdigen Zigarrenatem forschend.
»Ich sagte, es gibt andere Mittel!« sagte Miss Eames. »Ich bin nicht so weit wie sie damals. Ich bin nicht quick.«
Wilbur Larch schnupperte an der Flasche in seiner Hand; er wußte, was »quick« bedeutete. Wenn ein Fötus quick war, so hieß das, daß die Mutter ihn sich regen gefühlt hatte, es bedeutete, daß die Mutter etwa über die Hälfte ihrer Schwangerschaft hinaus war, gewöhnlich im vierten oder fünften Monat; wenn ein Fötus quick war, so bedeutete dies für manche Ärzte mit religiöser Einstellung, daß er eine Seele hatte. Wilbur Larch dachte nicht, daß irgend jemand eine Seele hätte, doch bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts galt im landläufigen angelsächsischen Recht bei der Abtreibung eine einfache und (für Wilbur Larch) vernünftige Einstellung: Vor dem »Quickwerden« – vor der ersten spürbaren Bewegung des Fötus – war die Abtreibung legal. Und was dem Arzt in Wilbur Larch noch wichtiger erschien: Es war nicht gefährlich für die Mutter, eine Abtreibung vorzunehmen, bevor der Fötus quick war. Nach dem dritten Monat, das wußte Wilbur Larch, hatte ein Fötus den Uterus so fest im Griff, daß es schon etwas mehr Gewaltanwendung brauchte, diesen zu lösen.
Die Flüssigkeit in der Flasche zum Beispiel, die Wilbur Larch in der Hand hielt, hatte nicht gewaltsam genug gewirkt, um den Griff zu lösen, mit dem Mrs. Eames’ Fötus sich an ihr festklammerte – auch wenn sie
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