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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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anscheinend gewaltsam genug gewirkt hatte, um den Fötus zu töten und Mrs. Eames’ Inneres in Brei zu verwandeln.
    »Muß ja reines Gift sein«, bemerkte Mrs. Eames’ robuste Tochter zu Wilbur Larch, der ein wenig von seinem geliebten Äther auf das fleckige Etikett der Flasche träufelte und es hinlänglich säuberte, um lesen zu können.
Französische Lunartinktur
    Normalisiert den monatlichen Zyklus der Frau!
    Beseitigt Suppression!
    (Suppression, das wußte der junge Larch, war ein
    klinischer Euphemismus für Schwangerschaft.)
    Vorsicht: Gefährlich für verheiratete Frauen!
    Führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Fehlgeburten! 
    so verkündete das Etikett am Schluß; und natürlich hatte Mrs. Eames sie genau darum genommen und immer wieder genommen.
    Den Mißbrauch von Abortiva hatte Larch an der Medical School studiert. Manche – wie Ergotin, das Larch gab, um die Kontraktion der Gebärmutter nach der Entbindung zu fördern, und Hypophysenextrakt – wirkten direkt auf den Uterus ein. Andere zerstörten den Darm – sie waren einfach drastische Abführmittel.
    Zwei Leichen, an denen Larch an der Medical School gearbeitet hatte, waren Opfer eines damals ziemlich gebräuchlichen Abtreibungshausmittels: Terpentin. Frauen, die in den 1880er und 1890er Jahren keine Babys wollten, brachten sich auch mit Strychnin und mit dem Öl der Gartenraute ums Leben. Die französische Lunartinktur, mit der Mrs. Eames es probiert hatte, bestand aus Farnöl; sie hatte es so lange und in solchen Mengen genommen, daß ihr Darm die Fähigkeit verloren hatte, Vitamin C zu absorbieren. Auf diese Weise verwandelte sie sich in Münsterkäse. Sie starb, wie der Pathologe richtig beobachtet hatte, an Skorbut.
    Mrs. Eames hätte für den Versuch, ein weiteres Kind abzutreiben, verschiedene andere Methoden wählen können. Gerüchten zufolge war ein ziemlich berüchtigter Abtreiber im South End auch der erfolgreichste Zuhälter des Bezirks. Er berechnete nahezu fünfhundert Dollar für eine Abtreibung, was sehr wenige der armen Frauen sich leisten konnten; wegen ihrer Schulden wurden sie seine Huren. Seine »Praxis« trug – wie andere, ähnliche Etablissements – die schlichte Bezeichnung »Off Harrison« – zweckmäßig unbestimmt, aber nicht ohne Sinn. Eine der Einrichtungen der Bostoner Entbindungsanstalt im South End lag an der Harrison Street, so daß »Off Harrison« – abseits der Harrison Street – im Straßenjargon ganz richtig etwas Inoffizielles – oder sogar Illegales – andeutete.
    Eine Abtreibung »abseits von Harrison« vornehmen zu lassen war nicht empfehlenswert – was Mrs. Eames vielleicht leidlich bekannt war. Auch ihre Tochter wußte von den Methoden dieses Hauses, weshalb sie Wilbur Larch eine Chance gab, den Job auszuführen – und sich selbst die Chance, den Job gut ausgeführt zu bekommen.
    »Ich sagte, ich bin nicht quick«, sagte Mrs. Eames’ Tochter zu dem jungen Larch. »Ich mach Ihnen keine Geschichten. Ich bin im Handumdrehen wieder draußen.« Es war nach Mitternacht in der Zweigstelle Süd. Der Assistent schlief; der Oberpfleger, ein Anästhesist, schlief ebenfalls. Der Kollege, der Larch geweckt hatte, war ebenfalls zu Bett gegangen.
    Die Dehnung der Cervix führt gewöhnlich in jedem Stadium der Schwangerschaft zu Gebärmutterkontraktionen, die den Inhalt des Uterus austreiben. Larch wußte auch, daß jede Reizung des Uterus meist den erwünschten Effekt zeitigt: Kontraktion, Austreibung. Der junge Wilbur Larch starrte Mrs. Eames’ Tochter an; seine Beine fühlten sich wacklig an. Vielleicht stand er immer noch, die Hand auf der Lehne von Mrs. Eames’ Sitz, in jenem schaukelnden Eisenbahnzug von Portland nach Boston, bevor er erfuhr, daß er den Tripper hatte.
    »Sie wünschen eine Abtreibung«, sagte Wilbur Larch leise. Es war das erste Mal, daß er das Wort ausgesprochen hatte.
    Mrs. Eames’ Tochter zog die Möwenfeder aus ihrem Zopf und stach Larch mit der Spitze des Kiels in die Brust: »Scheißen Sie, oder runter vom Pott«, sagte sie. Und bei den Worten »Scheißen« und »Pott« wehte ihn der saure Zigarrengestank an.
    Wilbur Larch hörte die Narkoseschwester schlafen – sie hatte einen Nebenhöhleninfekt. Für eine Abtreibung würde er nicht so viel Äther brauchen, wie er bei einer Entbindung gern einsetzte, nur ein bißchen mehr, als er sich selbst gewöhnlich verabreichte. Auch bezweifelte er, ob es notwendig sei, die Patientin zu rasieren; zur Entbindung wurden die

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