Gottes Werk und Teufels Beitrag
Patientinnen routinemäßig rasiert, und Larch hätte es auch bei einer Abtreibung vorgezogen, aber um Zeit zu sparen, konnte er das auch seinlassen; den Äther würde er nicht seinlassen. Er würde die Vaginalregion mit rotem Merthiolat betupfen. Hätte er eine Kindheit gehabt wie Mrs. Eames’ Tochter, dann hätte auch er kein Kind auf die Welt bringen wollen. Er würde die Dilatatoren mit den Douglass-Stiften nehmen – abgerundete, stumpfnasige Stifte, die sich leicht in den Uterus einführen ließen und beim Herausziehen das Gewebe nicht einklemmten. Sobald die Cervix auf den erforderlichen Umfang gedehnt wäre, würde er – falls Mrs. Eames’ Tochter nicht weit im dritten oder vierten Monat war – die Zange wohl nicht zum Einsatz bringen müssen, und falls doch, dann nur zur Entfernung der Plazenta und der größeren Teile. Ein Lehrbuch der Medical School hatte euphemistisch von den »Produkten der Empfängnis« gesprochen: diese könnten von der Uteruswand mit einer Kürette abgeschabt werden – vielleicht mit zwei Küretten unterschiedlicher Größe, von denen die kleinere bis in die hintersten Winkel reichte.
Aber er war zu jung, unser Wilbur Larch; er zögerte. Er dachte an die Zeit, die Mrs. Eames’ Tochter zur Erholung vom Äther brauchen würde, und daran, was er seinen Kollegen sagen sollte, oder der Schwester, falls sie erwachte – oder gar dem Assistenten, falls er das Mädchen bis zum Morgen dabehalten müßte (etwa wenn eine exzessive Blutung eintrat). Überrascht spürte er den plötzlichen Schmerz in seiner Brust; Mrs. Eames’ ruppige Tochter stach ihn wieder mit ihrer Möwenfeder.
»Ich bin nicht quick! Ich bin nicht quick, habe ich gesagt!« kreischte die kleine Eames ihn an, immer wieder drauflosstechend, bis die Feder in ihrer Hand knickte; sie ließ sie in seinem Hemd stecken. Als sie sich abwandte, streifte ihr schwerer Zopf sein Gesicht – und verströmte einen überwältigenden Duft nach Zigarre. Als sie gegangen war und Larch sich die Möwenfeder aus der Brust pflückte, merkte er, daß das Rautenöl – die französische Lunartinktur – über seine Hände ausgelaufen war. Der Geruch war nicht unangenehm, aber für eine Weile überdeckte er den Geruch, den Larch liebte und den er gewöhnt war – er überdeckte den Äther; und er beendete seinen Seelenfrieden. Man verwendete keinen Äther »abseits von Harrison«. Man kümmerte sich dort nicht um den Schmerz. Für den Schmerz hatte man »abseits von Harrison« die Musik. Ein Singkreis namens Deutscher Chor probte Lieder in den Vorräumen »abseits von Harrison«. Man sang mit Inbrunst. Vielleicht wußte Mrs. Eames’ Tochter es zu schätzen, aber sie äußerte sich nicht zur Musik, als sie eine Woche später zur Zweigstelle Süd zurückgebracht wurde. Niemand wußte so recht, wie sie dorthin gelangt war; anscheinend hatte man sie vor die Tür geworfen; anscheinend hatte man sie geschlagen, ins Gesicht und gegen den Hals, möglicherweise für Nichtbezahlung des üblichen Abtreibungshonorars. Sie hatte sehr hohes Fieber – ihr geschwollenes Gesicht fühlte sich heiß und trocken an, wie frisches Brot aus dem Ofen. Aufgrund des Fiebers und der Spannung in ihrem glasharten Unterleib vermuteten der Anstaltsleiter und die Nachtschwester eine Bauchfellentzündung. Der Grund, warum sie Wilbur weckten, war, daß Mrs. Eames’ Tochter einen Zettel an der Schulter ihres Kleides festgesteckt trug.
Doktor Larch! Scheissen sie, oder runter vom Pott!
An ihrer anderen Schulter festgesteckt – wie eine unpassende Epaulette, durch die ihr Kleid völlig schief und verzogen saß – war ein Damenschlüpfer, offenbar ihr einziger, denn sie trug keinen. Anscheinend war ihr Höschen in aller Eile dort festgesteckt worden; auf diese Weise konnte es nicht verlorengehen. Wilbur Larch brauchte Mrs. Eames’ Tochter nicht besonders gründlich zu untersuchen, um herauszufinden, daß die versuchte Abtreibung fehlgeschlagen war. Ein Embryo ohne Herzschlag war in ihren starr krampfenden Uterus eingeschlossen. Die Blutung und Infektion konnte durch jede der verschiedenen Methoden verursacht sein, die »abseits von Harrison« angewandt wurden.
Es gab die Anhänger der Wasserkur, die den Gebrauch eines intrauterinen Schlauches mit Spritze befürworteten, aber weder der Schlauch noch das Wasser waren steril – und die Spritze diente noch manch anderem Zweck. Es gab ein primitives Absaugsystem, einfach ein luftdichter Napf, aus dem mit Hilfe einer
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