Gottes Werk und Teufels Beitrag
darauf nur ein Block Papier und eine Kassenbox, saß ein munterer Mann und aß etwas aus einer Schüssel, was nach Weißen Bohnen aussah. Der Mann wirkte jung und kräftig und unbekümmert; er trug einen Arbeitsoverall und ein ärmelloses Unterhemd; um den Hals hing ihm, wie die Trillerpfeife eines Turnlehrers, ein Schlüssel – offenbar zu der kleinen Kasse. Er war genauso kahlköpfig wie der Chordirigent. Ob ihre Köpfe wohl rasiert waren? überlegte Larch.
Ohne Wilbur Larch anzusehen, sagte der Mann, der einer vom Chor sein mochte und für ein paar Lieder aussetzte: »He, Sie kommen hier nicht rein. Lassen Sie nur die Dame alleine kommen, oder mit einer Freundin.«
Im Vorraum hörte Wilbur Larch sie wieder singen, etwas über irgend jemandes Mütterlein.
»Ich bin Arzt«, sagte Dr. Larch.
Der Mann mit der Kasse aß weiter, aber er blickte nun zu Larch auf. Die Sänger taten einen tiefen Atemzug, und in diesem Sekundenbruchteil des Schweigens hörte Larch den flinken, gewandten Löffel in der Schüssel kratzen – und, aus einem anderen Raum, ein würgendes Geräusch, rasch gefolgt vom Plätschern des Erbrochenen in eine Metallschüssel. Eine der Frauen im Wartezimmer fing an zu weinen, aber bevor Larch feststellen konnte, welche Frau es war, holten die Sänger Luft und legten wieder los. Irgend etwas über das Blut Christi, dachte Larch.
»Was wollen Sie?« fragte der Mann Larch.
»Ich bin Arzt, ich möchte den Arzt hier sprechen«, sagte Larch.
»Kein Arzt hier«, sagte der Mann. »Nur Sie.«
»Dann möchte ich Rat geben«, sagte Larch. »Ärztlichen Rat. Kostenlosen ärztlichen Rat.«
Der Mann studierte Larchs Gesicht, als könnte er dort die Antwort auf Larchs Angebot finden. »Sie sind nicht der erste hier«, sagte der Mann nach einer Weile. »Warten Sie, bis Sie an der Reihe sind.«
Das befriedigte anscheinend beide Männer für den Augenblick, und Larch suchte sich einen Platz – und nahm einen Stuhl genau zwischen den zwei Frauenpärchen, die sich bereits im Raum befanden. Er war von alledem zu schokkiert, um noch überrascht zu sein, als er das eine Paar erkannte: Die Litauerin, deren Kind er entbunden hatte (seine erste Entbindung), saß stumm neben ihrer muttermalgesichtigen Mutter. Sie blickten nicht auf; Larch lächelte ihnen zu und nickte. Die Frau war hochschwanger – zu schwanger für eine leichte Abtreibung unter einigermaßen sicheren Bedingungen. Larch erkannte mit panischem Schrecken, daß er ihr das nicht sagen konnte; sie sprach nur Litauisch. Sie würde ihn nur mit der Entbindung lebender Babys in Verbindung bringen! Auch wußte er nicht, was aus ihrem ersten Baby geworden sein mochte – noch, wie ihr Leben mit dem Kind verlaufen war oder jetzt verlief. Er klopfte nervös mit dem Fuß auf den Boden und betrachtete das andere Paar – auch sie eindeutig Mutter und Tochter, aber beide jünger als die Litauerinnen, und es war schwer zu sagen, welche von beiden schwanger war. Diese Abtreibung, zumindest, schien leichter durchzuführen. Die Tochter wirkte zu jung, um schwanger zu sein, aber wieso, fragte sich Larch, hatte die Mutter das Mädchen dann hierhergebracht? Brauchte sie ihre Gesellschaft so sehr, oder war dies als eine Lehre gemeint? Paß auf – das kann dir auch passieren! Im Vorraum ereiferten sich die Sänger hysterisch über das Thema der Liebe Gottes und etwas, was sich anhörte wie »verblendendes Geschicke«.
Wilbur Larch starrte auf die verschlossene Tür, hinter der er eindeutig jemanden kotzen hörte. Eine Biene, irrsinnig fehl am Platz, summte zum offenen Fenster herein und, als sie die Blumen als Fälschung erkannte, geradewegs wieder hinaus. Als Larch das Litauerinnenpärchen anschaute, sah er, daß die Großmutter ihn erkannt hatte – und sie hatte eine neue Möglichkeit entdeckt, ihr Muttermal vorzuzeigen, dem zusätzliche und noch längere Haare entsprossen waren und das seine Farbe leicht verändert hatte. Sie kniff das Muttermal von beiden Seiten mit den Fingern fest zusammen und reizte die angrenzende Haut so sehr, daß es ihr schier aus dem Gesicht bersten wollte – wie ein überreifer Furunkel. Die Schwangere schien die uncharmante Vorführung ihrer Mutter nicht zu bemerken, und als sie Larch anstarrte, schien sie ihn nicht zu erkennen; für Larch stand nur Litauisch in ihrem Gesicht geschrieben. Vielleicht, dachte Larch, hatte der Ehemann ihr Baby aus dem Fenster geworfen und sie in den Wahnsinn getrieben. Einen Moment lang meinte Larch, daß der
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