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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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in den Fernseher und war nicht abkömmlich, um Auskünfte zu erteilen. Schwester Caroline fragte die hinfällige junge Frau, ob sie das Waisenhaus suche, und so war es dann auch. Unfähig (oder unwillig) zu sprechen, nickte sie nur und begleitete Schwester Caroline den Hügel hinauf.
    Dr. Larch wurde eben mit der Abtreibungspatientin fertig, die tags zuvor angekommen und über Nacht geblieben war. »Tut mir leid, daß Sie warten mußten. Ich hoffe, Sie hatten keine Unannehmlichkeiten«, sagte er zu ihr.
    »Nein, nein, alle waren sehr nett«, sagte sie. »Sogar die Kinder scheinen nett zu sein – soviel ich von ihnen gesehen habe.« Dr. Larch war verblüfft über das »Sogar«; warum sollten die Kinder nicht nett scheinen? Dann fragte er sich, ob er denn eine Ahnung habe, wie alles in St. Cloud’s anderen erscheinen mochte.
    Er war auf dem Weg in die Apotheke, um sich ein Weilchen auszuruhen, als Schwester Caroline ihm die nächste Patientin vorstellte. Die junge Frau wollte immer noch nicht sprechen, was es schwierig machte für Larch, ihr zu vertrauen.
    »Sie sind sicher, daß Sie schwanger sind?« fragte er. Sie nickte. »Zweiter Monat?« schätzte Larch. Die Frau schüttelte den Kopf; sie hielt drei Finger hoch. »Dritter Monat«, sagte Larch, aber die Frau zuckte die Schultern; sie hielt vier Finger hoch. »Vielleicht im vierten?« fragte Larch. Sie hielt fünf Finger hoch. »Sie sind im fünften Monat schwanger?« fragte Larch. Jetzt hielt sie sechs Finger hoch. »Vielleicht im sechsten?« fragte Larch. Die Frau zuckte mit den Schultern.
    »Sind Sie sicher, daß Sie schwanger sind?« begann Larch abermals. Ja, nickte sie. »Haben Sie eine Ahnung, wie lange Sie schwanger sind?« fragte Larch sie, während Schwester Caroline der Frau half, sich auszuziehen; sie war so unterernährt, daß Larch und Schwester Caroline sofort sahen, daß ihre Schwangerschaft fortgeschrittener war, als sie zuerst angenommen hatten. Nachdem Larch die Frau untersucht hatte, die äußerst empfindlich gegen jede Berührung war und fieberte, sagte er: »Sie könnten im siebten Monat sein. Sie könnten zu spät gekommen sein«, erläuterte ihr Larch. Die Frau schüttelte den Kopf.
    Larch wollte genauer nachschauen, doch Schwester Caroline hatte ihre liebe Mühe, die Frau dazu zu bewegen, daß sie die richtige Körperhaltung einnahm. Und während Schwester Caroline die Temperatur der Frau maß, blieb Larch nichts anderes übrig, als seine Hand auf den Unterleib der Frau zu drücken, der äußerst angespannt war – wann immer Larch sie nur leicht berührte, hielt sie den Atem an.
    »Haben Sie versucht, etwas mit sich anzustellen?« fragte er die Frau sanft. »Haben Sie sich verletzt?« Die Frau erstarrte. »Warum wollen Sie nicht sprechen?« fragte Larch; die Frau schüttelte den Kopf. »Sind Sie stumm?« Sie schüttelte den Kopf. »Sind Sie verletzt?« fragte Larch. Die Frau zuckte die Schultern.
    Endlich machte Schwester Caroline es der Frau auf den Beinstützen bequem. »Ich werde jetzt in Sie hineinschauen«, erklärte Larch. »Dies ist ein Spekulum«, sagte er und hielt das Instrument empor. »Es fühlt sich vielleicht kühl an, aber es tut nicht weh.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich, ich werde Ihnen nicht weh tun – ich werde nur nachschauen.«
    »Sie hat vierzig Fieber!« flüsterte Schwester Caroline Dr. Larch zu.
    »Es wird angenehmer sein für Sie, wenn Sie sich entspannen«, sagte Larch; er spürte den Widerstand der Frau gegen das Spekulum. Als er sich hinunterbeugte, um nachzuschauen, sprach die Frau ihn an.
    »Ich war es nicht«, sagte sie. »Ich hätte nie all das in mich reingesteckt.«
    »All das?« sagte Larch. »Was alles?« Plötzlich wollte er nicht mehr schauen, bevor er nicht Bescheid wußte.
    »Ich war es nicht«, wiederholte sie. »Ich hätte so etwas niemals getan.«
    Dr. Larch beugte sich so nah an das Spekulum, daß er den Atem anhalten mußte. Bei jedem Atemzug oder wenn er schluckte, mußte er würgen von dem Geruch nach Sepsis und Fäulnis, und die vertrauten feurigen Farben ihrer Entzündung leuchteten so (auch noch umwölkt von Ausfluß), daß ein furchtsamer oder ein ahnungsloser Mensch geblendet gewesen wäre. Wilbur Larch aber fing wieder an zu atmen, langsam und regelmäßig; nur so konnte er eine ruhige Hand behalten. Er schaute unentwegt und staunte über das entzündete Gewebe der jungen Frau; es schien heiß genug, um die Welt zu verbrennen. Siehst du nun, Homer? fragte Larch sich

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