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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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staunte er noch über die ungewöhnliche Kontrolle, die Mr. Rose über seine Welt ausübte – er kontrollierte sogar den Zeitpunkt, zu dem die Tochter seiner Tochter einen Namen bekommen sollte (ganz zu schweigen, wahrscheinlich, von dem Namen selbst)! Homer erwachte kurz vor dem Morgengrauen und nahm einen Federhalter von seinem Nachttisch und überschrieb damit, mit wuchtiger Endgültigkeit, die bleistiftgeschriebene Zahl auf der Rückseite der Photographie von der Besatzung der Die Chance klopft an.
    Mit schwarzer Tinte folgte er den Bleistiftlinien; diese Dauerhaftigkeit war beruhigend – als sei Tinte, wie bei einem richtigen Vertrag, bindender als Bleistift. Er konnte nicht wissen, daß Candy ebenfalls wach war; sie hatte Magenschmerzen und suchte nach irgendeiner Medizin in ihrem und Wallys Badezimmer. Auch sie fand es nötig, sich mit der Frage der zweihundertsiebzig Male zu befassen, die sie und Homer miteinander geschlafen hatten, seit Wally aus dem Krieg heimgekehrt war, doch Candy maß der Endgültigkeit dieser Zahl eine geringere Bedeutung bei als Homer. Statt sie mit Tinte zu überschreiben, nahm Candy ihren Radiergummi, um den Beweis von der Rückseite der Photographie zu tilgen, auf der man sah, wie sie Homer schwimmen beibrachte. Dann beruhigte sich ihr Magen, und sie konnte schlafen. Es erstaunte sie: wie völlig entspannt sie war bei der Aussicht, daß nach der Ernte ihr Leben (wie sie es gewohnt war) zu Ende sein würde.
    Homer versuchte nicht, wieder einzuschlafen; er kannte seine Geschichte mit dem Schlaf; er wußte, daß es keinen Zweck hat, gegen die Geschichte anzukämpfen. Er las einen Artikel im New England Journal of Medicine über die Antibiotika-Therapie; er hatte seit Jahren die Anwendung von Penicillin und Streptomycin verfolgt. Weniger vertraut war er mit Aureomycin und Terramycin, aber die Wirkungsweise der Antibiotika kam ihm leicht verständlich vor. Er las über den eingeschränkten Nutzen von Neomycin; er registrierte, daß Achromycin und Tetracyclin dasselbe waren; schrieb ›Erythromycin‹ an den Rand des Artikels, mehrmals, bis er sich sicher war, daß er es richtig buchstabieren konnte; Dr. Larch hatte ihm diese Methode beigebracht, um sich etwas einzuprägen.
    »E-R-Y-T-H-R-O-M-Y-C-I-N«, schrieb Homer Wells – der Apfel-Doktor, wie Mr. Rose ihn genannt hatte. Er schrieb auch dies an den Rand. »Der Apfel-Doktor«, und kurz bevor er aufstand, schrieb er: »Abermals Beduine.«
    Am anderen Morgen schickte Candy Angel zum Ciderhaus, um sich zu erkundigen, ob Rose Rose etwas für das Baby brauchte, und da verliebte sich Angel. Er war schüchtern bei Mädchen in seinem Alter; die gleichaltrigen oder etwas älteren Jungen hänselten ihn immer wegen seines Namens. Er glaubte der einzige Angel in ganz Maine zu sein. Er war sogar im voraus schüchtern, wenn er Mädchen treffen sollte, und fürchtete den Moment, da er ihnen seinen Namen sagen sollte. In Heart’s Rock und Heart’s Haven beachteten ihn die selbstbewußteren Mädchen aus seiner Klasse überhaupt nicht; sie interessierten sich für die älteren Jungen. Die Mädchen, die ihn zu mögen schienen, waren schlichte, plumpe Plappertaschen, die am liebsten mit anderen plumpen Plaudertaschen redeten, über sich selbst – oder darüber, was welcher Junge zu wem gesagt hatte. Jedesmal, wenn Angel mit einem Mädchen sprach, wußte er, daß seine Bemerkungen noch am selben Abend per Telephon an die anderen vernachlässigten Mädchen aus seiner Klasse weitervermittelt wurden. Am nächsten Morgen würden sie alle grinsen über ihn – als hätte er die gleichen Albernheiten zu ihnen allen gesagt. Und so lernte er zu schweigen. Er beobachtete die älteren Mädchen in der Schule. Ihm gefielen die, die vergleichsweise wenig mit ihren Freundinnen redeten. Sie kamen ihm reifer vor, was in seinen Augen nur dafür sprach, daß sie tatsächlich Sachen machten, die ihre Freundinnen nicht wissen sollten.
    Damals, 195–, freuten sich die Mädchen in Angels Alter auf kleine Verabredungen; Jungen in Angels Alter freuten sich – wie zu allen Zeiten – darauf, Sachen zu machen.
    Mr. Roses Tochter war nicht nur die allerexotischste junge Frau, die Angel je gesehen hatte; wenn sie eine Tochter hatte, mußte sie auch Sachen gemacht haben.
    Es war kalt und feucht morgens im Ciderhaus; als Angel dort eintraf, war Rose Rose draußen in der Sonne und wusch Baby-Rose in einem Zuber. Das Baby planschte, und Rose Rose sprach mit ihrer Tochter; sie

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