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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sollte Atemversagen sein, bedingt durch Aspiration von Erbrochenem, was zu Herzstillstand geführt hatte. Der Treuhänderausschuß sollte es im Lichte der gegen Larch vorgelegten Beweise insgeheim Selbstmord nennen; der Mann stand kurz davor, in Schande entlassen zu werden, sagten sie sich. Doch wer ihn kannte und von seiner Äthersucht wußte, sagte, es sei ein Unfall gewesen, wie er einem erschöpften Menschen eben zustoßen kann. Gewiß wußte Mrs. Grogan – und Schwester Angela und Schwester Edna und Schwester Caroline wußten es ebenfalls –, daß er nicht ein Mensch war, der »kurz davor stand, in Schande entlassen zu werden«; vielmehr war er ein Mensch, der kurz davor stand, nicht mehr nützlich zu sein. Und ein nützlicher Mensch zu sein war alles, wozu Wilbur Larch geboren zu sein glaubte.
    Schwester Edna, die seinen Leichnam fand, verschlug es für einige Zeit die Sprache. Die Tür zur Apotheke schloß nicht richtig dicht, und Edna kamen die Dämpfe ganz besonders stark vor, und Dr. Larch war länger dort drinnen gewesen als üblich.
    Mrs. Grogan, die hoffte, daß er in eine bessere Welt gegangen sei, las mit der Stimme einer verschreckten Drossel zitternd eine Passage aus Jane Eyre für die Mädchen in der Mädchenabteilung.
    Waisenkinder lieben und brauchen die Routine, ermahnten die Frauen einander.
    Schwester Caroline, die hart war wie ein Hufnagel und die Dickens als sentimentalen Langweiler empfand, hatte ihre Stimme fest im Griff; sie las laut und beinah herzhaft eine Passage aus David Copperfield in der Knabenabteilung. Nur bei der Aussicht auf den von allen erwarteten Segen fürchtete sie zusammenzubrechen.
    Schwester Angela sagte schließlich alles, ganz genau nach den Regeln.
    »Freuen wir uns für Doktor Larch«, sagte sie zu den aufmerksamen Kindern. »Doktor Larch hat eine Familie gefunden. Gute Nacht, Doktor Larch«, sagte Schwester Angela.
    »Gute Nacht, Doktor Larch!« riefen die Kinder.
    »Gute Nacht, Wilbur!« brachte Schwester Edna hervor, während Schwester Angela all ihre Kraft zusammennahm für den gewohnten Refrain und Schwester Caroline, in der Hoffnung, der Abendwind werde ihre Tränen trocknen, den Hügel zum Bahnhof hinuntermarschierte – wieder einmal, um dem erschrockenen Bahnhofsvorsteher mitzuteilen, daß es in St. Cloud’s eine Leiche gab. 
     
    Der Sonntag in Ocean View war ein farbenprächtiger Spätsommertag, und Homer Wells ging fischen. Nicht wirklich fischen: Homer Wells versuchte etwas mehr herauszufinden über die Beziehung zwischen Mr. Rose und seiner Tochter. Die beiden Männer saßen auf dem Ciderhausdach – die meiste Zeit schwiegen sie. Nicht zuviel reden, vermutete Homer, sei die einzige Möglichkeit, fischen zu gehen mit Mr. Rose.
    Unter ihnen versuchte Angel, Rose das Radfahren beizubringen. Homer hatte sich anerboten, Rose Rose und Angel zum Strand zu fahren (und sie zu einer bestimmten Uhrzeit wieder abzuholen), aber Angel kam es darauf an, daß er und Rose Rose unabhängig blieben – an den Strand gefahren zu werden, das unterstrich nur die Tatsache, daß er immer noch darauf wartete, alt genug für seinen Führerschein zu werden. Der Strand war zu weit weg, um zu Fuß hinzugehen, und Homer erlaubte Angel nicht, per Anhalter zu fahren; doch mit dem Fahrrad hatten sie nur knappe vier bis fünf Meilen zu fahren, und die Straße war weitgehend eben.
    Mr. Rose schaute der Lektion gelassen zu, während Homer ungeduldig darauf wartete, daß Rose Rose das mit dem Fahrrad endlich hinkriegte; er wußte, wie viel Vorbereitung für den geplanten Ausflug draufgegangen war – wie Angel an seinem und Candys Fahrrad herumgeschraubt hatte und wie Angel mit Candy diskutiert hatte, welcher von Candys Badeanzügen Rose Rose am besten passen würde. Gemeinsam hatten sie einen smaragdgrünen ausgewählt – mit einem pink-rosa Spiralstreifen, wie die Stange vor den Friseurläden, und Candy war sicher, daß dieser Anzug Rose Rose besser passen würde als ihr; er war Candy um Brust und Hüften stets zu locker gewesen.
    »Das gehört zu den Sachen, die man als Kind lernen sollte«, bemerkte Homer zu der Fahrradlektion. Angel rannte immer neben dem wackligen Fahrrad her, auf dem Rose Rose sich abmühte. Sobald das Rad in einem gemächlichen Tempo dahinrollte, ließ Angel es los. Rose Rose trat entweder nicht in die Pedale – während sie das Rad eisern festhielt, bis es einfach zu langsam wurde und umkippte –, oder aber sie trat wie wild in die Pedale, jedoch ohne zu

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