Gottes Werk und Teufels Beitrag
lenken. Sie schien unfähig, das Fahrrad in der Balance zu halten und gleichzeitig die Pedale zu treten. Und ihre Hände wirkten wie erstarrt an den Lenkgriffen; die Balance zu halten und die Pedale zu treten und zugleich zu steuern kam ihr mehr und mehr wie ein unerreichbares Wunder vor.
»Kannst du fahren?« fragte Mr. Rose Homer.
»Ich hab’s nie versucht«, sagte Homer Wells. »Ich hätte wahrscheinlich ein bißchen Schwierigkeiten«, gestand er; dabei sah es eigentlich ganz leicht aus. Es gab keine Fahrräder im Waisenhaus; die Kinder hätten damit wegfahren können. Das einzige Rad in St. Cloud’s war das des Bahnhofsvorstehers, und er fuhr selten darauf.
»Ich hab’s auch nie versucht«, sagte Mr. Rose. Er sah seine Tochter einen leichten Hügel hinunterschlingern; sie kreischte, das Fahrrad kippte, sie stürzte – und Angel Wells lief zu ihr, um ihr aufzuhelfen.
Einige Männer saßen in einer Reihe mit dem Rücken an die Wand gelehnt vor dem Ciderhaus; manche tranken Kaffee, manche Bier, aber allesamt beobachteten sie die Fahrradlektion. Manche feuerten sie an – lautstark wie Zuschauer, die einen Sportwettkampf bejubeln –, und andere beobachteten den Vorgang gelassen wie Mr. Rose.
So ging es eine Weile, und der Applaus – soweit es welchen gab – wurde spärlicher und zufälliger.
»Gib nicht auf«, sagte Angel zu Rose Rose.
»Ich gebe nicht auf«, sagte Rose Rose. »Hab ich gesagt, ich würde aufgeben?«
»Erinnern Sie sich, was Sie einmal zu mir sagten, über die Regeln?« fragte Homer Mr. Rose.
»Welche Regeln?« fragte Mr. Rose.
»Sie wissen schon, die Regeln, die ich jedes Jahr im Ciderhaus aufhänge«, sagte Homer. »Und Sie erwähnten, Sie hätten andere, Ihre eigenen Regeln für das Leben hier.«
»Ach ja, diese Regeln«, sagte Mr. Rose.
»Ich dachte, Sie wollten sagen, daß es bei Ihren Regeln darum ginge, einander nicht zu verwunden – ich dachte, es ginge darum, vorsichtig zu sein«, sagte Homer. »Genau wie bei meinen Regeln, irgendwie, schätze ich.«
»Sag, was du denkst, Homer«, sagte Mr. Rose.
»Ist jemand verwundet worden?« fragte Homer. »Ich meine, gab es Schwierigkeiten irgendwelcher Art – dieses Jahr?«
Rose Rose saß wieder oben auf dem Fahrrad; ihr Blick war grimmig; sie und Angel schwitzten beide. Es schien Homer, als holperte Rose Rose zu hart auf dem Sitz, als wolle sie sich dabei beinah absichtlich verletzen; oder aber, als sei sie möglichst grob zu sich selbst, um sich die Härte zu geben, die sie brauchte, um die Maschine zu meistern. Sie schwankte eine Kuppe hinunter, außer Sicht jetzt hinter ein paar Apfelbäumen, und Angel rannte hinter ihr her.
»Warum gehen sie nicht einfach zu Fuß?« fragte der Pflücker namens Peaches. »Sie könnten inzwischen längst da sein.«
»Warum bringt sie nicht jemand hin, in einem Auto?« fragte ein anderer Mann.
»Sie machen es lieber auf ihre Weise«, sagte Muddy. Darüber gab es etwas Gelächter.
»Mehr Respekt«, sagte Mr. Rose. Homer glaubte, Mr. Rose hätte ihn gemeint, aber er sprach zu den Männern, die nun aufhörten zu lachen. »Bald wird das Fahrrad kaputt sein«, sagte Mr. Rose zu Homer.
Rose Rose trug Bluejeans, schwere Arbeitsstiefel und ein weißes T-Shirt; weil sie schwitzte, waren die Umrisse und Farben des smaragdgrünen und pink-rosa Badeanzugs durch ihr Hemd zu sehen.
»Stell dir vor, wie sie schwimmen lernt«, sagte Mr. Rose.
Homer Wells bedauerte Angel, doch ein anderes Thema lag ihm schwerer auf der Seele.
»Noch mal wegen der Möglichkeit, daß jemand verwundet wurde«, sagte Homer, »wegen der Regeln.«
Mr. Rose griff in seine Tasche, langsam, und Homer erwartete halb, das Messer auftauchen zu sehen, was aber Mr. Rose aus seiner Tasche zog und sehr behutsam in Homers Hand legte, war nicht das Messer, sondern der heruntergebrannte Stummel einer Kerze. Es war das, was übriggeblieben war von der Kerze, die Candy entzündet hatte für ihr Liebesspiel im Ciderhaus. In ihrer Panik – als sie glaubte, daß Wally sie dort ertappt hätte – hatte sie sie vergessen.
Homer schloß seine Finger um die Kerze, und Mr. Rose tätschelte seine Hand.
»Das ist gegen die Regeln, nicht wahr?« fragte Mr. Rose Homer.
Black Pan buk Maisbrot. Der Geruch stieg aus dem Ciderhaus auf und hing köstlich über dem Dach, das sich in der Spätmorgensonne erwärmte; bald würde es unangenehm heiß werden auf dem Dach.
»Ist das Brot noch nicht fertig zum Essen?« brüllte Peaches in die
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