Gottes Werk und Teufels Beitrag
trotzdem (besonders wenn sie nicht im Haus war). Wally nannte es »Fliegen«; vor allem aber machten sie das, wenn sie sich langweilten. Candy war zum Ciderhaus gefahren, um Rose Rose und ihr Baby zu holen.
Angel und Wally waren sich selbst überlassen.
Als sie sahen, wie Homer schaute, hörten sie auf.
»Was ist los, alter Junge?« fragte Wally seinen Freund.
Homer kniete sich neben Wallys Rollstuhl und legte seinen Kopf auf Wallys Schoß.
»Doktor Larch ist tot«, sagte er zu Wally, und dieser hielt ihn fest, während er weinte. Homer weinte sehr kurz. In seiner Erinnerung war Curly Day die einzige Waise gewesen, die jemals längere Zeit geweint hatte. Als Homer aufhörte zu weinen, sagte er zu Angel: »Ich muß dir etwas erzählen – und ich werde deine Hilfe brauchen.«
Sie gingen hinaus zu dem Schuppen, wo die Gartensachen aufbewahrt wurden, und Homer öffnete eine der viertelpfündigen Ätherflaschen mit einer Sicherheitsnadel. Die Dämpfe trieben ihm die Tränen in die Augen; er hatte niemals verstanden, wie Larch das Zeug lieben konnte.
»Er wurde süchtig danach«, sagte Homer zu seinem Sohn. »Aber er hatte eine sehr leichte Hand damit. Ich habe Patientinnen gesehen, die ihm antworteten, während sie unter Narkose standen, und trotzdem spürten sie nichts.«
Sie brachten den Äther hinauf, und Homer befahl Angel, das zweite Bett in seinem Zimmer zu beziehen – erst mit dem Gummilaken, das sie benutzt hatten, als Angel noch Windeln trug; dann die gewöhnlichen Laken (aber saubere) darüber.
»Für Baby-Rose?« fragte Angel seinen Vater.
»Nein, nicht für Baby-Rose«, sagte Homer. Während er die Instrumente auspackte, saß Angel auf dem anderen Bett und schaute ihm zu.
»Das Wasser kocht!« rief Wally hinauf.
»Erinnerst du dich, wie ich dir immer sagte, daß ich Doktor Larchs Helfer war?« fragte Homer Angel.
»Richtig«, sagte Angel Wells.
»Nun, ich wurde sehr gut darin – ihm zu helfen«, sagte Homer. »Sehr gut. Ich bin kein Anfänger«, sagte er zu seinem Sohn. »Das ist es eigentlich – das wollte ich dir erzählen«, sagte Homer, während er alles, was er brauchte, gut sichtbar anordnete; alles schien außerhalb der Zeit stattzufinden, alles schien genau richtig.
»Mach weiter«, sagte Angel Wells zu seinem Vater. »Mach weiter mit der Geschichte.«
Unten in dem stillen Haus hörten sie Wally in seinem Rollstuhl von Zimmer zu Zimmer rollen. Er war immer noch am Fliegen.
Oben sprach Homer Wells zu seinem Sohn, während sie den Mull an der Yankauermaske erneuerten. Er begann mit jener alten Geschichte über Gottes Werk und Teufels Beitrag – und wie es für Wilbur Larch alles eins gewesen war: Gottes Werk.
Es erschreckte Candy, wie die Scheinwerfer ihres Jeeps die Silhouetten der Männer ganz scharf gegen den Himmel warfen; wie sie in einer Reihe hockten, wie Riesenvögel, das Ciderhausdach entlang. Sie glaubte, alle müßten dort oben sein – aber das waren sie nicht. Mr. Rose und seine Tochter waren im Innern des Ciderhauses, und die Männer warteten dort, wo sie zu warten hatten.
Als Candy aus dem Jeep stieg, sprach niemand sie an. Es brannte kein Licht im Ciderhaus; hätten ihr die Scheinwerfer nicht die Männer auf dem Dach gezeigt, Candy hätte geglaubt, daß alle zu Bett gegangen wären.
»Hallo!« rief Candy zum Dach hinauf. »Eines Tages bricht dieses Dach noch ein.« Plötzlich machte es ihr angst: daß sie nicht mit ihr sprachen. Aber die Männer hatten mehr Angst als Candy; die Männer wußten nicht, was sie sagen sollten – sie wußten nur, daß das, was Mr. Rose mit seiner Tochter tat, nicht richtig war und daß sie zu große Angst hatten, um etwas dagegen zu tun.
»Muddy?« fragte Candy ins Dunkel.
»Ja, Missus Worthington!« rief Muddy zu ihr herab. Sie ging hinüber zu der Ecke des Ciderhauses, wo das Dach sich am weitesten auf den Boden neigte; dort stiegen immer alle hinauf; eine alte Pflückerleiter lehnte dort am Dach, aber niemand auf dem Dach rührte sich, um die Leiter für sie festzuhalten.
»Peaches?« sagte Candy.
»Ja, Ma’am«, sagte Peaches.
»Bitte, halte doch einer die Leiter«, sagte sie. Muddy und Peaches hielten die Leiter, und Black Pan gab ihr die Hand, während sie aufs Dach kletterte. Dann machten die Männer Platz für sie, und sie setzte sich zu ihnen.
Sie konnte nicht sehr deutlich sehen, aber sie hätte es gespürt, wenn Rose Rose dagewesen wäre; und wäre Mr. Rose dagewesen, das wußte Candy, dann hätte er sie
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