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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihn.
    Doch ehe der Brief eintraf, erhielt Wilbur Larch eine andere Einladung. Das Vergnügen seiner Anwesenheit wurde erbeten von einer Mrs. Channing-Peabody, von den Bostoner Channing-Peabodys, die den Sommer jeweils auf ihrem Küstenlandsitz knapp östlich von Portland verbrachten. Die Einladung deutete an, daß der junge Larch doch vielleicht die Bostoner Society vermisse, an die er sich zweifellos gewöhnt habe, und gewiß eine kleine Tennis- oder Krocketpartie genießen würde, oder gar Segeln – vor einem Dinner mit den Channing-Peabodys und Freunden. Larch war an keine Bostoner Society gewöhnt. Die Channing-Peabodys erinnerten ihn an Cambridge, oder an Beacon Hill – wohin er nie eingeladen worden war –, und wenn er auch wußte, daß Channing und Peabody die Namen alter Bostoner Familien waren, so war ihm die seltsame Verbindung der beiden doch fremd. Nach allem, was Wilbur Larch über diese Gesellschaftsschicht wußte, mochten die Channings und die Peabodys gemeinsam eine Party schmeißen und sich zum Zweck der Einladung darauf geeinigt haben, ihre Namen durch Bindestrich zu verbinden.
    Was das Segeln betraf, so war Wilbur Larch weder je auf noch im Wasser gewesen. Als Kind von Maine wußte er Besseres zu tun, als in diesem Wasser schwimmen zu lernen; das Wasser von Maine war, nach Larchs Meinung, etwas für Sommertouristen und Hummer. Und was Tennis oder Krocket anging, so besaß er nicht die passende Kleidung. Anhand eines Aquarells von irgendwelchen sonderbaren Rasenspielen hatte er sich einst ausgemalt, daß es ganz befriedigend sein müßte, mit einem Holzschläger nach einer Holzkugel zu dreschen, so fest man nur konnte, aber er hatte nicht die Zeit, diese Kunst allein und unbeobachtet zu üben. Ihn reuten die Kosten für einen gemieteten Fahrer, der ihn zum Sommerhaus der Channing-Peabodys brachte, und er fühlte sich unkomfortabel gekleidet für die Saison – sein einziger Anzug war ein dunkler, schwerer, und er hatte ihn seit dem Tag seines Besuchs »abseits von Harrison« nicht mehr getragen. Als er den großen Messingtürklopfer des Hauses Channing-Peabody hob (entschlossen, sich lieber förmlich vorzustellen, als unter den weißgekleideten Leuten umherzuirren, die sich mit verschiedenen Sportarten allenthalben im Park verlustierten), merkte er, daß der Anzug nicht nur zu warm, sondern auch zerknittert war, und in der Rocktasche entdeckte er das Höschen der Frau, die ihr Kind »abseits von Harrison« abgetrieben hatte. Wilbur Larch hielt das Höschen in der Hand und starrte es an – und er erinnerte sich an dessen kecken, epaulettenhaften Sitz, seine kühne Unerschrockenheit auf der Schulter der Frau – als Mrs. Channing-Peabody die Tür öffnete, um ihn willkommen zu heißen.
    Er konnte das Höschen nicht schnell genug in die Tasche seines Jacketts zurückstecken, darum stopfte er es in die Hosentasche – mit einer Gebärde, als sei es ein Taschentuch und er gerade dabei überrascht worden, wie er sich damit die Nase putzte. An der Art, wie Mrs. Channing-Peabody rasch den Blick abwandte, erkannte Larch, daß sie das Höschen als das gesehen hatte, was es war: ein Damenschlüpfer, sonnenklar.
    »Doktor Larch?« sagte Mrs. Channing-Peabody vorsichtig, als habe das Höschen ihr einen Wink hinsichtlich Larchs Identität gegeben.
    Ich sollte jetzt einfach gehen, dachte Wilbur Larch, doch er sagte: »Ja, Doktor Larch«, und verbeugte sich vor der Frau – einer großen Fregatte von einer Frau, die mit ihrem gebräunten Gesicht und dem von silbergrauem Haar behelmten Kopf so glatt und gefährlich aussah wie eine Granate.
    »Kommen Sie, Sie müssen meine Tochter kennenlernen«, sagte die Frau. »Und alle andern!« fuhr sie fort, mit einem dröhnenden Lachen, das den Schweiß auf Wilbur Larchs Rücken gefrieren ließ.
    Alle andern schienen den Namen Channing oder Peabody zu tragen, oder Channing-Peabody, und manche von ihnen hatten Vornamen, die wie Nachnamen klangen. Da gab es einen Cabot und einen Chadwick und einen Loring und einen Emerald (der nicht smaragdgrüne, sondern glanzlose braune Augen hatte), aber die Tochter, die Dr. Larch kennenzulernen Mrs. Channing-Peabody ausersehen hatte, war die Schlichteste und Jüngste und am wenigsten gesund Aussehende von der ganzen Bande. Ihr Name war Missy.
    »Missy?« wiederholte Wilbur Larch. Das Mädchen nickte und zuckte die Schultern.
    Sie saßen an einem langen Tisch, nebeneinander. Ihnen gegenüber, und etwa in ihrem Alter, war einer der jungen

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