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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sie?« fragte er Mrs. Channing-Peabody. »Ist sie quick?«
    Quick oder nicht, Missy Channing-Peabody war gewiß vorbereitet worden. Die Familie hatte ein kleines Lesezimmer in einen Operationssaal verwandelt. Hier gab es alte Bilder von Männern in Uniform, und die Bücher (die anscheinend schon lange niemand mehr angefaßt hatte) standen stramm da, wie Soldaten. Im düsteren Vordergrund des Zimmers war ein solider Tisch zweckdienlich mit Watteschicht und Gummilaken bedeckt, und Missy selbst lag in der richtigen Untersuchungsposition. Sie war bereits rasiert und das Operationsgebiet desinfiziert. Irgend jemand hatte die nötigen Hausaufgaben gemacht; vielleicht hatten sie den senilen Hauschirurgen um Hilfe bei den Details gebeten. Dr. Larch sah den Alkohol, die grüne Seife, die Nagelbürste (die er sofort zum Einsatz brachte). Da gab es einen Satz von sechs metallenen Dilatatoren und einen Satz von drei Küretten in einem lederbezogenen, satingefütterten Kasten. Es gab Chloroform und einen Chloroforminhalator, und dieser eine Fehler – daß sie nichts von seiner Vorliebe für Äther wußten – bewog Larch beinah, ihnen zu verzeihen.
    Nicht verzeihen konnte Wilbur Larch hingegen den offensichtlichen Abscheu, den sie vor ihm empfanden. Da stand eine alte Frau in Bereitschaft, vielleicht eine ergebene Hausbedienstete, die für zahllose kleine Channing-Peabodys Hebamme gespielt hatte, vielleicht auch für Missy. Die alte Frau schaute Larch ganz besonders steinern und scharfäugig an, als erwartete sie, daß er ihr für die sorgfältige Vorbereitung der Patientin gratuliere. Freilich hätte sie sich in einem solchen Fall niemals anmerken lassen, daß er das Wort an sie gerichtet hatte. Mrs. Channing-Peabody selbst schien außerstande, ihn zu berühren; immerhin erbot sie sich, ihm das Jackett abzunehmen, das er ihr überließ. Dann bat er sie hinauszugehen.
    »Schicken Sie mir diesen jungen Mann«, befahl er ihr noch, »ich finde, er sollte dabeisein.« Er meinte den besonders feindseligen jungen Mann in Tennis-Weiß, egal ob er nun der empörte Bruder oder der schuldige Liebhaber war oder beides. Diese Leute brauchen mich, aber sie verabscheuen mich, dachte Larch, während er seine Nägel bürstete. Und als er seine Arme in das Alkoholbad tauchte, fragte er sich, wie viele Ärzte die Channing-Peabodys kennen mochten (wie viele mochte es in der Familie geben!), aber nie hätten sie einen von ihresgleichen um Hilfe bei diesem »kleinen Problem« gebeten. Dafür waren sie zu rein.
    »Sie brauchen meine Hilfe?« fragte der verdrossene junge Mann.
    »Nicht eigentlich«, erwiderte Larch. »Fassen Sie nichts an, und stellen Sie sich links neben mich. Schauen Sie mir nur über die Schulter, und achten Sie darauf, daß Sie alles gut sehen können.«
    Der klassenbewußte, verächtliche Blick war kaum aus dem Gesicht des jungen Chadwick (oder des jungen Cabot) gewichen, als Wilbur Larch mit der Kürette an die Arbeit ging; beim ersten Erscheinen der Produkte der Empfängnis weitete sich der Gesichtsausdruck des jungen Mannes – die selbstsichere, abschätzige Miene war in seinem Gesicht nirgends mehr zu entdecken. Es erschlaffte und glich in der Farbe dem Tennisdreß.
    »Ich habe hinsichtlich der Uteruswand folgende Beobachtung gemacht«, berichtete Dr. Larch dem geisterhaften jungen Mann. »Es ist eine gute, feste Muskelwand, und wenn man sie ausschabt, antwortet sie mit einem knirschenden Geräusch. Daran merkt man, ob man alles erwischt hat – alle Produkte der Empfängnis. Horchen Sie nur auf dieses knirschende Geräusch.« Er schabte abermals. »Hören Sie es?«
    »Nein«, flüsterte der junge Mann.
    »Nun, vielleicht ist Geräusch nicht das richtige Wort«, sagte Wilbur Larch. »Vielleicht ist es mehr wie ein knirschendes Gefühl, aber für mich ist’s ein Geräusch. Knirschend«, sagte er, während der junge Cabot oder junge Chadwick sein eigenes Erbrochenes in seinen hohlen Händen aufzufangen suchte.
    »Messen Sie stündlich ihre Temperatur«, befahl Larch der starren Bediensteten, die sterile Handtücher bereithielt. »Falls mehr als eine kleine Blutung eintritt oder falls sie Fieber hat, sollte man mich rufen. Und behandelt sie wie eine Prinzessin«, sprach Wilbur Larch zu der alten Frau und dem aschfahlen leeren jungen Mann. »Niemand soll sie beschämen dürfen.«
    Er wäre fortgegangen wie ein Gentleman, nachdem er unter Missys Augenlidern ihren chloroformierten Blick gesucht hatte; aber als er sein Jackett

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