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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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anzog, spürte er das Kuvert, das seine Brusttasche ausbeulte. Er zählte das Geld nicht, sah aber, daß es mehrere hundert Dollar waren. Es war wieder genau wie in der Bürgermeistervilla, die Dienstbotenstubenbehandlung; es besagte, daß die Channing-Peabodys ihn nicht wieder zu Tennis oder Krocket oder zum Segeln bitten würden.
    Prompt überreichte er fünfzig Dollar der alten Frau, die Missys Genitalien mit Bichloridlösung gebadet und sie mit einer sterilen Schambinde bedeckt hatte. Etwa zwanzig Dollar gab er dem jungen Tennisspieler, der die Tür zum Patio aufgestoßen hatte, um ein wenig Gartenluft zu atmen. Larch schickte sich an zu gehen. Dann aber, als er die Hände in seine Jackentaschen schob und wieder das Höschen fand, griff er, einer Eingebung folgend, nach der Plazentazange und nahm das Instrument mit. Er ging hinaus, den alten Chirurgen zu suchen, aber es waren nur Dienstmädchen im Speisesaal, immer noch damit beschäftigt, den Tisch abzuräumen. Er gab jeder von ihnen etwa zwanzig bis dreißig Dollar.
    Den senilen Doktor fand er schlafend in einem Polstersessel in einem anderen Zimmer. Er öffnete die Greifer der Zange, klammerte das Höschen aus »Off Harrison« darin fest und klemmte das Ganze dem alten Schnarcher ans Revers.
    Er fand die Küche, wo mehrere Dienstmädchen emsig am Werk waren, und verschenkte dort etwa zweihundert Dollar.
    Er ging in den Park hinaus und verschenkte den Rest des Geldes, weitere zweihundert Dollar, an einen Gärtner, der in einem Blumenbeet neben dem Hauptportal auf den Knien lag. Das leere Kuvert hätte er Mrs. Channing-Peabody gerne zurückgegeben; die große Dame ließ sich nicht blicken. Er versuchte das Kuvert zusammenzufalten und es am Hauptportal unter dem Messingtürklopfer festzustecken; das Kuvert flatterte dauernd im Wind davon. Da wurde er wütend, knüllte es zu einer Kugel zusammen und warf es in ein manikürtes Rasenrondell, das als Rotunde für die Haupteinfahrt diente. Zwei Krocketspieler auf einem Rasen gegenüber unterbrachen ihr Spiel und starrten zuerst auf das zerknüllte Kuvert und dann in den blauen Sommerhimmel, als ob von dort gleich ein Blitzstrahl käme, um Larch auf der Stelle zu erschlagen.
    Auf der Rückfahrt nach Portland dachte Wilbur Larch an das vergangene Jahrhundert in der Geschichte der Medizin – als Schwangerschaftsabbrüche legal gewesen waren, als viele weit kompliziertere Verfahren als eine simple Abtreibung den Medizinstudenten routinemäßig beigebracht wurden: Dinge wie die intrauterine Dekapitation und die Zerstückelung des Fötus (beide anstelle des gefährlicheren Kaiserschnitts). Er murmelte die Worte vor sich hin: intrauterine Dekapitation, Zerstückelung des Fötus. Als er schließlich in Portland anlangte, hatte er die Sache geklärt. Er war Gynäkologe; er holte Babys auf die Welt. Seine Kollegen nannten das »Gottes Werk«. Und er war ein Abtreiber; er half auch Müttern zurück in die Welt. Seine Kollegen nannten das »Teufels Beitrag«, aber für Wilbur Larch war beides »Gottes Werk«. Wie Mrs. Maxwell beobachtet hatte: »Das Herz des wahren Arztes kann nicht weit und gütig genug sein.«
    Später, wenn er Anlaß hatte, an sich selbst zu zweifeln, würde er sich zwingen, sich zu erinnern: Er hatte mit einer Mutter geschlafen und sich im Lichtschein der Zigarre ihrer Tochter angekleidet. Er selbst konnte problemlos für den Rest des Lebens der Sexualität entsagen, aber wie konnte er je einen anderen Menschen dafür verdammen, daß er ihr nicht entsagte, sondern weiter Sex machte? Er würde sich auch daran erinnern, was er für Mrs. Eames’ Tochter nicht getan hatte und was der Preis dafür gewesen war.
    Er würde Babys retten. Er würde auch Mütter retten.
    In Portland erwartete ihn ein Brief aus St. Cloud’s. Als die Amtsärztekammer des Staates Maine ihn nach St. Cloud’s schickte, ahnte sie nichts von Wilbur Larchs Gefühlen für Waisenkinder – und auch nichts von seiner Bereitschaft, Portland zu verlassen, jenen sicheren Hafen, aus dem die Great Eastern abgesegelt war, ohne die Aussicht, je wiederzukehren. Die Amtsärztekammer sollte nie erfahren, daß Wilbur Larch, in der ersten Woche, die er in St. Cloud’s verbrachte, ein Waisenhaus gründete (weil es gebraucht wurde), drei Babys entband (ein erwünschtes, zwei unvermeidliche – eines davon eine weitere Waise) und eine Abtreibung vornahm (seine dritte). Larch sollte Jahre brauchen, um die Bevölkerung über Geburtenkontrolle aufzuklären

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