Gottes Werk und Teufels Beitrag
einer antiseptischen lösung vorbereitet«, schrieb Homer Wells; er schrieb viel in grossbuchstaben – es hing mit seiner Gewohnheit zusammen, die Satzenden oder die Schlüsselwörter zu wiederholen.
»Der uterus wird untersucht, um seine Größe zu schätzen. Eine Hand wird auf die bauchdecke gelegt; zwei oder drei Finger der anderen Hand sind in der Vagina. Ein spekulum, das wie ein Entenschnabel aussieht, wird in die Vagina eingeführt – durch welche die cervix sichtbar wird. (Die cervix«, schrieb er in Klammern, wie um sich zu erinnern, »ist der halsähnliche Teil des unteren, verjüngten Endes des uterus.) Das Loch in der Mitte der Cervix ist der Eingang zum uterus. Er ist wie ein kirschroter Rettungsring. Während der schwangerschaft ist die cervix geschwollen und glänzend.
Mit einem Satz stählerner dilatatoren wird die cervix erweitert, um der ovum-zange Einlaß zu bieten. Dies ist eine Zange, mit der der Arzt ergreift, was im Innern des uterus ist. Er zieht heraus, so viel er kann.«
Dabei handelte es sich (das wollte Homer sagen) um Blut und Schleim. »Die Produkte der Empfängnis«, so nannte er es.
»Mit einer curette«, notierte Homer, »wird die wand des uterus leer geschabt. Daß sie leer ist, weiß man, wenn man ein knirschendes Geräusch hört.«
Sonst war über die Dilatation und den Vorgang der Curettierung in das Kollegheft nichts eingetragen. Als Fußnote zu dem Eingriff hatte Homer nur angefügt: »Die gebärmutter, von der man in der Literatur liest, ist jener Teil des genitaltrakts, in dem sich das befruchtete Ovum einnistet.« Eine Seitenzahl war am Rand des Kolleghefteintrags notiert – die erste Seite des Kapitels »Die weiblichen Fortpflanzungsorgane« in Grays Anatomie, das ausgesprochen hilfreiche Illustrationen und Beschreibungen enthält.
Damals, 194–, war Homer Wells (noch keine zwanzig) Hebamme bei unzähligen Geburten gewesen und chirurgischer Assistent bei den nicht ganz so zahlreichen Abtreibungen (eine auf vier Geburten); er hatte selbst viele Kinder entbunden, immer im Beisein von Dr. Larch, aber Larch hatte Homer nicht gestattet, eine Abtreibung auszuführen. Larch und Homer stimmten darin überein, daß Homer durchaus dazu in der Lage gewesen wäre, doch meinte Larch, Homer sollte zuerst die Medical School – eine regelrechte Medical School – absolvieren und seine Assistentenzeit in einem anderen Krankenhaus ableisten, bevor er die Operation ausführte. Nicht, daß sie kompliziert gewesen wäre; Larch war nur der Meinung, daß Homer frei entscheiden solle, daß er erst etwas über die Gesellschaft wissen müsse, bevor er – allein – die Entscheidung treffe, Abtreibungen auszuführen oder nicht.
Dr. Larch wollte sich auf die Suche nach einem Sponsor begeben, der Homer Wells fördern würde. Larch wünschte sich jemanden, der den Jungen aufs College schickte, nicht nur, damit Homer den Übertritt in die Medical School schaffte, sondern auch, um Homer mit der Welt außerhalb von St. Cloud’s in Berührung zu bringen.
Wie man für einen solchen Sponsor inserierte, war Wilbur Larch ein Rätsel. Sollte er seinen Kollegen und Briefpartner im Neuengland-Heim für kleine Vagabunden bitten, ob er die dortige umfangreiche Adressenkartei benutzen durfte?
erfahrene Hebamme & qualifizierter Abtreiber
sucht Sponsor für die Collegezeit
inkl. Kosten für die medical school
Wo war die Gesellschaft, in die Homer Wells hineinpassen würde? fragte sich Wilbur Larch.
Vor allem, das wußte Larch, mußte er Homer von Melony trennen. Die beiden zusammen deprimierten ihn maßlos! Sie erschienen dem Doktor wie ein müdes, liebloses Ehepaar. Was immer Melony in den ersten Jahren ihrer stürmischen jungen Liebe an sexueller Spannung aufzubauen vermocht hatte, schien jetzt ganz zu fehlen. Sexuellen Umgang pflegten sie, falls überhaupt, nur noch sporadisch und ohne Begeisterung. Beim Lunch saßen sie schweigend beieinander – vor den Augen der versammelten Kinder aus der Knaben- und der Mädchenabteilung; zusammen studierten sie das zerlesene Exemplar von Grays Anatomie, als wäre es eine verworrene Landkarte, der sie folgen mußten, um je einen Weg hinaus aus St. Cloud’s zu finden.
Melony lief nicht einmal mehr fort. Larch schien es, als binde ein wortloser, freudloser Pakt Homer und Melony aneinander. Ihre Verdrießlichkeit erinnerte Dr. Larch an Mrs. Eames’ Tochter, die eine Ewigkeit mit dem Penis eines Ponys im Mund zugebracht hatte. Nie zankten sich Homer und
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