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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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jemand. Aber Homer Wells hörte eine Pause in der Luft; es war alles so durcheinandergeraten, und nicht alle waren überzeugt.
    »Gute Nacht, Fuzzy!« sagte Homer Wells gewichtig, und einige der Stimmchen taten es ihm nach.
    »Gute Nacht, Fuzzy!«
    »Gute Nacht, Fuzzy Stone!«
    Homer Wells wußte auch, was die Redensart bedeutete, daß ein Schweigen ohrenbetäubend sein könne. Nachdem Dr. Larch sie verlassen hatte, sprach der kleine Snowy Meadows als erster.
    »Homer?« sagte Snowy.
    »Hier«, sagte Homer Wells in die Dunkelheit.
    »Wieso konnte jemand Fuzzy Stone adoptieren?« fragte Snowy Meadows.
    »Wer konnte das tun?« sagte der kleine Wilbur Walsh.
    »Jemand mit einer besseren Maschine«, sagte Homer Wells. »Jemand, der eine bessere Atemmaschine hatte als die, die Doktor Larch für Fuzzy gebaut hat. Es ist eine Familie, die alles über Atemmaschinen weiß. Es ist das Geschäft der Familie«, fügte er hinzu. »Atemmaschinen.«
    »Glücklicher Fuzzy?!« sagte jemand in verwundertem Ton.
    Homer wußte, daß er sie überzeugt hatte, als Snowy Meadows sagte: »Gute Nacht, Fuzzy.«
    Homer Wells wanderte zum Fluß hinunter, der so viele Prinzen der Geschichte von St. Cloud’s hinweggeführt hatte; er war noch keine sechzehn, Chirurgenlehrling und altgedient im Leid der Schlaflosigkeit. Das Rauschen des Flusses war ein Trost für Homer, tröstlicher als die Stille im Schlafsaal in dieser Nacht. Er stand am Flußufer, wo die Veranda der Sägewerkerhütte gewesen war, wo er den Bussard hatte vom Himmel fallen sehen, schneller als die Schlange zum Ufer schwimmen konnte – und die Schlange war sehr schnell gewesen.
    Hätte Wilbur Larch Homer dort gesehen, hätte er sich erneut vorgeworfen, daß der Junge zu früh von seiner Kindheit Abschied nahm. Doch Dr. Larch hatte den Äther, der ihm beim Einschlafen half, und Homer Wells hatte kein Mittel gegen seine Schlaflosigkeit.
    »Gute Nacht, Fuzzy«, rief Homer über den Fluß. Die Wälder von Maine ließen diese Bemerkung bezeichnenderweise auf sich beruhen, aber Homer beharrte darauf, gehört zu werden. »Gute Nacht, Fuzzy!« schrie er, so laut er konnte. Und noch lauter: »Gute Nacht, Fuzzy!« Er schrie es und schrie es – der erwachsene Junge, dessen Geschrei einstmals Legende gewesen war, oben am Fluß in Three Mile Falls.
    »Gute Nacht, Fuzzy Stone!«

4
    Der junge Dr. Wells »In anderen Teilen der Welt«, schrieb Wilbur Larch, »gibt es das, was die Menschen ›Gesellschaft‹ nennen. Hier in St. Cloud’s haben wir keine Gesellschaft – hier gibt es nicht jene Entscheidungen, jene Vergleiche zwischen Besser-als und Schlechter-als, die sich fast unweigerlich in jeder Gesellschaft stellen. Hier ist es weniger kompliziert, weil die Entscheidungen und Vergleiche entweder offenkundig sind oder nicht vorhanden. So wenige Alternativen zu haben macht aber eine Waise so verzweifelt begierig, die Gesellschaft kennenzulernen – jede Gesellschaft, je geplagter von Intrigen, je versessener auf Klatsch, desto besser. Wo immer sich eine Gelegenheit bietet, stürzt sich die Waise in die Gesellschaft – wie ein Fischotter ins Wasser.«
    Wilbur Larch fand, daß hinsichtlich solcher »Alternativen« Homer Wells keine freie Wahl hatte, was seine Lehrzeit oder Melony betraf. Er und Melony waren dazu verurteilt, so etwas wie ein Paar zu werden, weil sonst niemand da war, mit dem sie sich zu einem Paar verbinden konnten. In der Gesellschaft hätte es eine Rolle gespielt, ob sie zueinander paßten; daß sie nicht zueinander paßten, spielte in St. Cloud’s keine Rolle. Und nachdem Homer die Möglichkeiten der armseligen Hauslehrer ausgeschöpft hatte, die in St. Cloud’s beschäftigt wurden – was gab es da noch für ihn zu lernen außer der Chirurgie? Insbesondere geburtshilfliche Techniken. Und, was Dr. Larch ihm noch leichter beibringen konnte: Dilatation und Curettage.
    Homer Wells führte seine Aufzeichnungen in einem von Dr. Larchs alten Kollegheften von der Medical School; Larch war ein knapper, sparsamer Notizenmacher gewesen, es gab also noch viel Platz. Nach Larchs Meinung brauchte Homer Wells nicht unbedingt ein eigenes Kollegheft. Larch mußte nur um sich schauen, um zu sehen, was Papier kostete. Die Bäume waren verschwunden; an ihrer Stelle gab es jetzt die Waisen – bloß wegen des Papiers.
    Unter der Überschrift dilatation & curettage schrieb Homer: »Am sichersten ist die Frau auf Beinstützen.« Bei Dr. Larch wurde sie auch rasiert.
    »Die vaginalregion wird mit

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