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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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anderer Mechaniker einen vollen Tag halbherziger Arbeit gebraucht hätte, und fast nie kam er zu Olive, um ihr zu sagen, daß sie dies oder jenes neu anschaffen müsse.
    Es war stets Olive, die als erste den Vorschlag machte, daß etwas erneuert werden sollte.
    »Muß denn die Kupplung am Deere-Traktor nicht dauernd nachgestellt werden, Ray?« pflegte sie ihn höflich zu fragen. »Würden Sie empfehlen, sie auszuwechseln?«
    Doch Raymond Kendall war ein Chirurg unter den Bastlern – wie ein Arzt nahm auch er den Tod nicht einfach hin –, für ihn war die Erneuerung eines Teiles ein Eingeständnis der Schwäche, des Scheiterns. Fast immer pflegte er zu sagen: »Aber Olive – ich habe es bisher geflickt, ich kann es wieder flicken. Ich kann es immer weiter flicken.«
    Olive respektierte Raymond Kendalls Verachtung für Leute, die sich nicht auf ihre Arbeit verstanden und »keine Fähigkeit hatten, egal zu welcher Arbeit«. Sie pflichtete ihm völlig bei, und sie war dankbar dafür, daß er niemals Senior oder Bruce Bean, ihren Vater, in seine Verachtung einbezog. Im übrigen konnte Senior Worthington so wunderbar und ganz aus dem Handgelenk mit Geld umgehen, daß er viel Erfolg gehabt hatte – auch ohne mehr als eine Stunde täglich zu arbeiten: meistens am Telephon.
    »Die Ernte«, pflegte Olive über ihre heißgeliebten Äpfel zu sagen, »kann sogar schlechtes Wetter zur Blütezeit überleben.« Womit sie Wind meinte; eine steife Küstenbrise würde Ira Titcombs Bienen in ihren Stöcken halten, und die wilden Bienen würden in die Wälder zurückgetrieben, wo sie alles andere als Apfelbäume befruchteten. »Die Ernte kann sogar einen schlechten Herbst überleben«, sagte Olive. Sie meinte vielleicht Regen, der die Früchte schlüpfrig macht, so daß sie herunterfallen, faule Flecken bekommen und nur noch für Cider taugen; oder sogar einen Hurrikan, der eine echte Gefahr für einen Obstgarten an der Küste ist. »Die Ernte könnte es sogar überleben, wenn mir etwas zustieße«, behauptete Olive – eine Bescheidenheit, gegen die Senior Worthington und Wally immer Protest einlegten. »Was aber die Ernte niemals überleben könnte«, pflegte Olive zu sagen, »wäre der Verlust von Ray Kendall.« Sie meinte, daß ohne Raymond nichts funktionieren würde, oder daß sie alles neu kaufen müßte und es dann bald nicht besser funktionieren würde als der alte Krempel, den nur Ray in Gang halten konnte.
    »Ich bezweifle sehr, Mutter«, sagte Jung-Wally, »daß Heart’s Haven oder Heart’s Rock ohne Raymond Kendall überleben könnten.«
    »Darauf möchte ich trinken«, sagte Senior Worthington, tat es prompt und gab Olive Veranlassung tragisch dreinzuschauen, was Wally bewog, das Thema zu wechseln.
    Wenngleich Ray Kendall jeden Tag zwei Stunden auf Ocean View arbeitete, sah man ihn nie einen Apfel essen; nur selten aß er Hummer (er bevorzugte Hühnchen oder Schweineschnitzel oder sogar Hamburger). Während einer Regatta des Haven-Club wollten einige Segler gerochen haben, daß Ray Kendall an Bord seines Hummerbootes Hamburger brutzelte, während er seine Hummerfallen aufzog.
    Welche Legenden sich aber um die Arbeitsmoral rankten, die Ray vertrat, welches Gemecker sich auch über die allzu sichtbaren Zeichen seiner Arbeit erhob, mit denen Raymond Kendall sich gerne umgab, so war doch kein Fehler an seiner schönen Tochter zu finden – außer ihrem Namen, der nicht ihr Fehler war (wer hätte sich schon selbst Candice nennen wollen und daher bei allen Candy sein?) und der, wie jedermann wußte, der Name ihrer verstorbenen Mutter gewesen und daher auch nicht der Fehler der Mutter gewesen war. Candice »Candy« Kendall war nach ihrer Mutter benannt, die bei der Geburt gestorben war. Raymond hatte seine Tochter zum Andenken an seine verstorbene Frau so genannt, die jeder gut hatte leiden können und die – zu ihrer Zeit – die Umgebung des Hummerbassins und den Anlegeplatz ein wenig ordentlicher gehalten hatte. Wer konnte einen Fehler an einem Namen finden, der aus Liebe gegeben war?
    Man mußte sie nur kennen, um zu wissen, daß sie keine Candy war; sie war lieblich, aber nicht auf falsche Art süß, sie war eine große, natürliche Schönheit, keine Schmeichlerin der Menge. Sie verkörperte eine ganz und gar praktische Verantwortlichkeit, war höflich, energisch und kam im Streit auf den Punkt, ohne je schrill zu werden. Sie beklagte sich nur über ihren Namen, trug ihn aber mit Humor (nie hätte sie die Gefühle

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