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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihres Vaters – oder die eines anderen Menschen – leichtfertig verletzt). Sie vereinigte in sich offenbar ihres Vaters frohe Bejahung der Arbeit mit der Bildung und Vervollkommnung, die er ihr ermöglicht hatte – sie ging Arbeit wie geistige Verfeinerung mit großer Leichtigkeit an. Wenn andere Mädchen im Haven-Club (oder im Rest von Heart’s Haven und Heart’s Rock) eifersüchtig waren auf die Aufmerksamkeit, die der junge Wally Worthington ihr schenkte, so gab es doch keine, die sie abgelehnt hätte. Wäre sie als Waise zur Welt gekommen, und gar in St. Cloud’s, so hätte sich die halbe Einwohnerschaft dort in sie verliebt.
    Sogar Olive Worthington mochte sie gut leiden, und Olive mißtraute den Mädchen, die sich mit Wally trafen; sie fragte sich, was sie von ihm wollten. Sie konnte nie vergessen, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, aus ihrem Leben heraus und in die grüne, apfelrunde Existenz einer Worthington auf Ocean View hineinzugelangen, und diese Erinnerung an ihr jüngeres Ich schärfte Olives Auge für Mädchen, die vielleicht ein stärkeres Interesse an Ocean View als an Wally hatten. Olive wußte, daß das bei Candy nicht der Fall war, denn die schien ihr eigenes Leben über Ray Kendalls Bassin voller krabbelnder Hummer für vollkommen zu halten; sie liebte den Eigensinn ihres Vaters und war zu Recht stolz auf seinen Fleiß. Durch letzteren war sie gut versorgt. Sie hatte es nicht auf Geld abgesehen und lud Wally lieber zum Schwimmen im Meer ein – möglichst weit weg von der tückischen und vollgestopften Anlegestelle ihres Vater –, als im Becken des Haven-Club zu baden oder im privaten Swimmingpool der Worthingtons, wo sie stets willkommen war. In Wahrheit glaubte sie, daß Candy Kendall zu gut sein könnte für ihren Sohn, den sie als ziemlich unstet kannte, oder wenigstens als nicht sehr fleißig – daß er bezaubernd und wirklich gutmütig war, gab sie gern zu.
    Und dann war da jener unbestimmte Schmerz, den Candy in Olive durch die Erinnerung an ihre Mutter Maud (erstarrt zwischen ihren Kosmetika und Muscheln) auslöste: Olive beneidete Candy um ihre vollkommene Liebe zu ihrer Mutter (die sie nie gesehen hatte); die reine Tugend des Mädchens bescherte Olive Schuldgefühle dafür, daß sie ihre eigene Herkunft (das Schweigen ihrer Mutter, das Versagen ihres Vaters, die Vulgarität ihres Bruders) so sehr verabscheute.
    Candy lebte in Anbetung vor den kleinen Schreinen für ihre Mutter, die Raymond Kendall in allen Räumen aufbaute – es wurden sogar richtige Altarbilder zusammengestellt –, droben im ersten Stock über dem Hummerbassin, wo die beiden über den blubbernden Hummertanks hausten. Und überall sammelten sich die Photographien von Candys junger Mutter, manche zusammen mit Candys jungem Vater aufgenommen (der so unkenntlich jugendlich war, dessen Lächeln auf den Bildern so unkenntlich dauerhaft war, daß Candy Ray zuweilen betrachtete, als sei er ihr ebenso fremd wie ihre Mutter).
    Candys Mutter hatte, wie es hieß, Rays rauhe Kanten geglättet. Sie war ein sonniges Gemüt gewesen, hatte immer über den Dingen gestanden und dieselbe grenzenlose Energie gehabt, die Raymond Kendall bei seiner Arbeit an den Tag legte und von der auch Candy nur so sprühte. Am Kaffeetisch, in der Küche, neben einem auseinandergenommenen Zündspulenkasten und der Zündung (für den Evinrude) hing ein Triptychon mit Photos von Ray und Candice bei ihrer Hochzeit, dem einzigen Ereignis im Haven-Club, an dem Ray Kendall je anders teilgenommen hatte als im Arbeitsanzug, um etwas zu reparieren.
    In Rays Schlafzimmer, auf dem Nachttisch, neben dem defekten Kippschalter für den Johnson (den Johnson-Bordmotor; es gab auch einen Außenborder), hing ein Bild von Candice und Ray – beide in Ölzeug, beide beim Aufziehen der Reusen auf einer rauhen See (und jedem, besonders Candy, war klar, daß Candice schwanger war und hart an der Arbeit).
    In ihrem eigenen Zimmer bewahrte Candy ein Bild von ihrer Mutter, als sie in Candys Alter gewesen war (was auch genau Homer Wells’ Alter war): die junge Candice Talbot, von den Talbots aus Heart’s Haven – den alteingesessenen Talbots aus dem Haven-Club. Sie trug ein langes weißes Kleid (ausgerechnet zum Tennis!) und sah genauso aus wie Candy. Das Bild war in dem Sommer aufgenommen, als sie Ray kennenlernte (ein Junge, älter als sie, stark, dunkelhaarig und entschlossen, alles zu reparieren, alles in Gang zu bringen); auch wenn er etwas linkisch wirkte

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