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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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immer – und wandte dabei die Gesichtshälfte mit dem Brandmal ab, als träfe sie einen zum erstenmal und könnte die Narbe verheimlichen. Der Unfall war vor Jahren passiert, und alle in Heart’s Haven und Heart’s Rock hatten Irene Titcombs Narbe längst gesehen und wußten haargenau, wie es dazu gekommen war.
    Eines Nachts hatte sich Ira Titcomb mit Ölfackel und Schrotflinte in seinen Garten gesetzt; irgend jemand war an seinen Bienenstöcken gewesen – wahrscheinlich ein Bär oder ein Waschbär. Irene wußte wohl, daß Ira die ganze Nacht draußen bleiben wollte, und war doch überrascht, als sie wach wurde und ihn rufen hörte. Er stand auf dem Rasen und winkte mit der brennenden Fackel unter ihrem Fenster; das einzige, was sie sah, war die Fackel. Er bat sie, ihm doch Spiegeleier mit Speck zu machen, falls sie nichts dagegen hätte, denn vor lauter Warten auf was immer er zu schießen vorhatte, war er hungrig geworden.
    Irene summte vor sich hin und schaute dem Speck beim Braten zu, als Ira ans Küchenfenster kam und an die Scheibe pochte, um zu sehen, ob das Essen fertig war. Darauf, daß Ira in seinem Imkeranzug aus dem Dunkel auftauchte und mit der Fackel in den Händen in das schwache Licht vor dem Küchenfenster trat, war Irene nicht gefaßt gewesen. Schon oft hatte sie ihren Mann in seinem Imkeranzug gesehen, aber daß er ihn tragen würde, während er einem Bären oder Waschbären auflauerte, hatte sie nicht erwartet. Nie hatte sie gesehen, wie der Anzug im Feuerschein glänzte oder bei Nacht.
    Ira hatte ihn angezogen, weil seine Schrotladung vielleicht einen der Stöcke durchlöchern würde und ein paar Bienen herausfliegen könnten. Er hatte nicht die Absicht gehabt, seine Frau zu erschrecken, aber die arme Irene blickte aus dem Fenster und sah etwas, was sie für eine flammendweiße Erscheinung hielt! Kein Zweifel, das war’s, was sich an den Bienenstöcken zu schaffen gemacht hatte! Der Geist eines Imkers aus längst versunkenen Tagen! Wahrscheinlich hatte er den armen Ira getötet und war jetzt hinter ihr her! Die Bratpfanne flog in ihren Händen hoch und verspritzte das heiße Schinkenfett über ihr Gesicht. Irene hatte Glück, daß sie ihr Augenlicht nicht einbüßte. Oh, diese Haushaltsunfälle! Sie können einen wahrlich übel erwischen.
    »Was willst du, Langer?« fragte Big Dot Taft. Die Apfelmarktfrauen hänselten Wally und flirteten ständig mit ihm; sie fanden ihn großartig und sehr spaßig, und diese drei kannten ihn seit er ein kleiner Junge war.
    »Er will uns auf eine Spazierfahrt mitnehmen!« schrie Irene Titcomb, immer noch lachend – mit abgewandtem Gesicht.
    »Ach, nimmst du uns mit ins Kino, Wally?« fragte Florence Hyde.
    »O Gott, was würde ich nicht für dich tun, Wally«, sagte Dot Taft, »wenn du mich ins Kino einladen wolltest!«
    »Willst du uns nicht glücklich machen, Wally«, fragte ihn Florence, leicht quengelnd.
    »Vielleicht wird Wally uns feuern!« kreischte Irene Titcomb, und das gab den dreien den Rest. Dot Taft lachte so schallend, daß Florence Hyde am falschen Ende ihrer Zigarette zog und zu husten anfing, was Dot noch lauter losprusten ließ.
    »Ist Grace heute hier?« fragte Wally beiläufig, als die Frauen sich wieder beruhigt hatten.
    »O Gott, er will Grace!« sagte Dot Taft. »Was hat sie denn, was wir nicht hätten?«
    Blaue Flecken, dachte Wally. Gebrochene Knochen, falsche Zähne – sicherlich echte Schmerzen und Qualen.
    »Ich will sie nur etwas fragen«, sagte Wally mit schüchternem Lächeln – seine Schüchternheit war wohlerwogen, sein Verhalten gegenüber den Marktfrauen ausgesprochen gewandt.
    »Ich wette, sie wird nein sagen«, kicherte Irene Titcomb.
    »Nein, zu Wally sagt jede ja«, hänselte Florence Hyde.
    Wally ließ das Gelächter verebben.
    Dann sagte Dot Taft: »Grace putzt den Backofen.«
    »Danke, meine Damen«, sagte Wally mit einer Verbeugung, verteilte Kußhände und ging rückwärts hinaus.
    »Du bist schlimm, Wally«, rief Florence Hyde ihm zu. »Du bist nur gekommen, um uns eifersüchtig zu machen.«
    »Diese Grace muß einen heißen Ofen haben«, sagte Dot Taft und entfesselte abermals Gelächter und Hustenanfälle.
    »Brenn dir nichts an, Wally«, rief Irene Titcomb ihm noch hinterher, und er verließ die Marktfrauen, die nun in höherer Tonlage als vorher weiterschwatzten und rauchten.
    Daß Grace Lynch die schlechteste Arbeit für einen Regentag erwischt hatte, überraschte Wally nicht. Die anderen Frauen hatten

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