Gottes Zorn (German Edition)
Vor ihm stehen Schnapsflaschen und Bierdosen, und auf dem Schneidebrett liegt ein Messer.
Joel schleicht auf nackten Füßen darauf zu.
Er wird sich das Brotmesser schnappen und es diesem teuflischen Tyrannen, der da sitzt und seinen Rausch ausschläft, tief in den Rücken stoßen. Dem Elend ein für alle Mal ein Ende bereiten.
Vorsichtig streckt er seinen Arm vor. Seine Finger umschließen den Holzgriff fest.
In dem Moment zuckt Mårten zusammen. Joels Hand steckt wie in einem Schraubstock fest. Seine bösen Augen schauen geradewegs durch ihn hindurch, sie lesen seine Gedanken.
Er weiß, dass Joel vorhatte, ihn zu töten.
Die Ohrfeige brennt auf der Wange wie Feuer. Dann packt Mårten ihn im Nacken, schleift ihn zur Haustür und stößt ihn die Verandatreppe hinunter.
Eine ganze Sommernacht lang liegt Joel zusammengekauert bei den Kaninchenställen im Garten mit Graunäschen im Arm. Mit einem pochenden Herzen dicht neben seinem eigenen. Er steckt die Nase ins warme Fell des Kaninchens. Deckt sich mit einer Plane zu und versucht zu schlafen.
Als er sich frühmorgens wieder ins Haus wagt, ist Mårten verschwunden. Mama liegt vollkommen regungslos in ihrem Bett im Obergeschoss und starrt aus dem Fenster. Er zieht leicht an ihrem Arm und flüstert ihr etwas zu. Aber sie hört ihn nicht.
***
O hne ein Wort zu sagen, stand Joel aus dem Sessel auf und setzte sich neben die trauernde Frau auf dem Sofa. Vorsichtig legte er ihr einen Arm um die Schultern. Helga schaute mit rot geweinten und verquollenen Augen auf.
«Er war ein guter Mann. Ich vermisse ihn so sehr.»
Sie richtete sich ein wenig auf und wurde etwas verlegen.
«Ich war schon einmal verheiratet», sagte sie. «Ja, Mårten und ich waren zwar nicht verheiratet, aber wir hatten immerhin schon Pläne gemacht. Mein vorheriger Mann war Pastor in Strängnäs. Er starb bei einem tragischen Unfall, und danach sind wir wieder hierhergezogen. Ich bin in der Gegend geboren, wie Sie an meinem Dialekt hören. Aber ich kannte nicht so viele Leute. Und Erik, den Sie eben kennengelernt haben, hatte Schwierigkeiten, hier unten eine Arbeit zu finden. Aber dann habe ich Mårten kennengelernt. Es war übrigens auf einer Beerdigung. Sie müssen wissen, dass ich im Kirchenchor singe. Er kam mir sehr einsam vor. Damals wechselten wir nur ein paar Worte, doch einige Tage später tauchte er mit einem Strauß gelber und roter Tulpen in der Hand bei mir auf.»
Joel trank etwas Kaffee, der inzwischen kalt geworden war.
«Und wer war gestorben?»
«Irgendein alter Freund von ihm. Keiner, den ich kannte.»
Helga steckte ihr Taschentuch wieder ein und bestrich eine Brotscheibe mit Butter.
«Wir konnten so gut miteinander reden. Auch das Interesse für die Kunst haben wir geteilt. Also haben wir uns immer öfter getroffen, und schließlich wurden wir ein Paar. Ich war so froh, dass Mårten sich auch etwas Zeit für Erik nehmen konnte. Sie sind manchmal gemeinsam zum Angeln rausgefahren.» Sie senkte ihre Stimme etwas. «Ansonsten ist mein Junge nämlich eher ein Einzelgänger», erklärte sie.
Sie saßen noch eine Weile zusammen und redeten über praktische Dinge. Schließlich musste die Beerdigung organisiert werden, die jedoch erst stattfinden konnte, wenn sie von der Polizei Bescheid erhielten, dass der Rechtsmediziner mit der Obduktion fertig war.
Als Joel schließlich aufstand, um zu gehen, blieb er plötzlich im Flur stehen und hielt inne.
«Das, was Sie über meinen Vater erzählen … fällt mir nicht ganz leicht zu verstehen. Denn ich habe ein völlig anderes Bild von ihm.»
Helga betrachtete ihn mit klarem Blick.
«Man muss es wohl als Gnade Gottes ansehen, dass Menschen sich ändern können», entgegnete sie leise.
«Der Prediger sagte mir, dass Sie es gewesen seien, die ihn das Licht erblicken ließen …»
Sie lachte ein wenig unsicher auf. «Ja, der Prediger …»
Für einen kurzen Augenblick hatte Joel den Eindruck, dass sie es vermied, ihn anzuschauen.
«Was ist er eigentlich für ein Mann, dieser Prediger?»
Sie zuckte mit den Achseln und umarmte ihn voller mütterlicher Wärme.
«Jemand, über den eine Menge Gerüchte kursieren. Eine Person, die offenbar ziemlich viel Unsinn redet und auch selbst Gerüchte verbreitet. Aber ich weiß wirklich keinen Deut mehr über ihn als Sie.»
Als Joel wieder in seinen Wagen stieg, stand sie auf der Verandatreppe und winkte. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss um. Tief in seinem Inneren war etwas geweckt
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