Gottes Zorn (German Edition)
den Ohren: «Ich hab ihm den Revolver in die Fresse gerammt, genau wie Ihnen. Aber ich hab ihn nicht erschossen. Ich bin schließlich kein Mörder.»
Plötzlich meinte Joel, draußen vor dem Fenster Geräusche zu hören. Irgendetwas klapperte und schlug. Er stand auf und schaute hinaus. Schaltete die Lampe über der Verandatreppe ein, um besser sehen zu können. Der Wind hatte ein wenig aufgefrischt, und die Tür zum Holzschuppen war leicht geöffnet. Ich muss vergessen haben, den Riegel vorzuschieben, dachte er.
Widerwillig zog er sich Stiefel an und stapfte über den Hof. Die Glühlampe im Schuppen funktionierte nicht. Joel fluchte und tastete sich im Dunkeln voran. Jetzt, wo er schon einmal draußen war, konnte er ebenso gut auch gleich einen Korb Birkenholz mit reinnehmen. Sein Vorrat war ziemlich zur Neige gegangen. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als Gunnar anzurufen und ihn um Nachschub zu bitten, dachte Joel. Aber ein paar Tage hatte es wohl noch Zeit. Er hob den Korb hoch, stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu und schob den Riegel vor.
Nachdem er sich einen Becher Kaffee gekocht hatte, schaltete er den Fernseher ein. Es liefen gerade die Nachrichten, ein Reporter stand vor dem alten Polizeigebäude in Malmö. Er redete aufgeregt und schnell, schien jedoch nicht viel zu berichten zu haben: «Wir gehen davon aus, dass Osama Al-Din hier im Polizeirevier am Davidshallstorg in Untersuchungshaft sitzt. Die Polizei will diese Angaben jedoch aus Sicherheitsgründen nicht bestätigen. Die Säpo gibt sich hinsichtlich der Ermittlungen sehr verschwiegen, aber den Quellen von
Rapport
zufolge ist die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, dass man Mårten Lindgrens Mörder nun gefasst hat. Die Vernehmung des Mannes wird noch fortgesetzt.»
Danach folgte ein Interview mit einer Staatsanwältin, die auf alle Fragen einsilbig antwortete, ohne irgendwelche neuen Informationen zu vermitteln. Als die Wetterkarte gezeigt wurde, schaltete Joel den Apparat aus.
In dem Moment klingelte sein Handy.
Er meldete sich kurz angebunden und konnte anfänglich nur ein Rauschen hören, als stünde der Anrufer irgendwo draußen an einem windigen Ort. Kündigte sich etwa schon wieder eine Sturmnacht an? Erneut machte sich das Gefühl in ihm breit, dass irgendjemand draußen ums Haus herumschlich. Jemand, der sich selbst verborgen hielt, aber ihn in den erleuchteten Zimmern sehen konnte. Er schaltete das Deckenlicht aus und versuchte durchs Fenster auf der Rückseite in Richtung der schneebedeckten Äcker hinauszusehen. Doch alles war schwarz.
«Ist da jemand?»
Eine Windbö verstärkte das Rauschen in der Leitung. Joel warf einen Blick aufs Display, doch die Nummer war ihm unbekannt. Dann wurde das Rauschen wieder leiser, als schirmte die Person am anderen Ende der Leitung den Wind in irgendeiner Form ab.
Die Stimme, die sich schließlich meldete, kam lediglich einem Flüstern gleich.
«Ich habe Ihnen etwas über Ihren Vater zu erzählen.»
«Wer ist denn da?»
«Rakel Olsson.»
«Wer …?»
«Wir haben uns letztens nur kurz gesehen. Sie hatten nach Torsten gefragt, dem Prediger, wie sie ihn nennen. Ich heiße Rakel Olsson.»
Mit einem Mal begriff er. Die durch und durch graue Frau, die den Prediger im letzten Augenblick daran gehindert hatte, seinen Schädel in einem Holzspaltgerät zu zerbersten. Er befingerte unbewusst den Schorf auf seiner Wunde. Er konnte sich lediglich an hellgraue wässrige Augen und einen Geruch nach Haschisch erinnern. Jetzt klang sie allerdings ängstlich.
«Aha, und was kann ich für Sie tun …?», fragte er unsicher.
«Sie wollten doch mehr über Ihren Vater wissen. Über Mårten. Allerdings kann ich jetzt nicht reden. Torsten wird wahnsinnig, wenn er erfährt, dass ich Sie angerufen habe. Aber wenn Sie um Mitternacht zum Tunbyholmsee kommen, werde ich Ihnen etwas zeigen. Kommen Sie allein. Fahren Sie an der Nordseite auf den Waldweg, der endet am Steg. Da treffen wir uns. Ich muss jetzt auflegen …»
«Warten Sie …!»
Doch die Verbindung war bereits unterbrochen.
Irritiert rief Joel die zuletzt eingegangene Nummer zurück, hörte jedoch nur eine Stimme, die ihm mitteilte, dass der Teilnehmer im Augenblick nicht erreichbar sei. Er warf das Handy in den Sessel und fluchte.
Was zum Teufel meinte sie nur?
Sein erster Gedanke war, einfach zu vergessen, dass sie angerufen hatte. Nie im Leben würde er sich dem Risiko aussetzen, dass der Prediger sich mitten in der Nacht auf
Weitere Kostenlose Bücher