Gottes Zorn (German Edition)
Jurastudium in Lund hierher zurückgezogen. Es war eine schöne Zeit, das kannst du mir glauben. Das unbeschwerte Studentenleben. Dort habe ich auch Ulrika kennengelernt.»
«Wie schön …»
Das Geräusch klackender Absätze auf dem Parkett verschaffte Joel die Gelegenheit, sich abzuwenden.
«Na, unterhaltet ihr euch über alte Kamellen aus der Schulzeit?»
Ulrika Berelius stellte das Tablett mit dem Kaffee ab. Sie ist hübsch, dachte Joel. Urban hat wirklich einen guten Fang gemacht.
Aus irgendeinem Grund führte dieser Gedanke dazu, dass er sich weniger schuldig fühlte.
«Und was ist aus dir geworden?», fragte der Anwalt abgeklärt.
«Alles Mögliche. Ich war ’ne Weile Koch in Kopenhagen und hab dann als Musiklehrer in Malmö gearbeitet.»
«Ah, dann warst du auf der Pädagogischen Hochschule. Wer hätte das gedacht?»
Joel bemühte sich nicht, Urban aufzuklären, dass man als Vertretungslehrer keinen ordentlichen Hochschulabschluss benötigte.
«Familie?»
Er schüttelte den Kopf. Langsam begann er sich zu fühlen, als wäre er während eines Gerichtsprozesses einem Kreuzverhör ausgesetzt. Und wer saß unter den Schöffen? Ulrika Berelius.
«Nein, Fehlanzeige.»
Berelius plapperte ungerührt weiter. «Unsere älteste Tochter Elin hat vor, ebenfalls Jura in Lund zu studieren. Sie will in Papas Fußstapfen treten. Und unser Filius will Arzt werden.»
«Schön», sagte Joel.
Im Augenwinkel sah er, dass Ulrika Berelius’ sonnengebräuntes Urlaubslächeln leicht eingefroren war, als wäre sie unsicher, wie sie das griesgrämige Auftreten des Mandanten deuten sollte. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde der Anwalt ernst. Er schob seine Brille mit den dünnen Gläsern in Richtung Nasenwurzel hinauf und betrachtete Joel forschend, als wollte er sichergehen, dass ihn seine Botschaft auch tatsächlich erreicht hatte: Siehst du, was für ein wunderbares Leben ich mir aufgebaut habe? Und du, zu was hast du es gebracht? Das nennt sich ausgleichende Gerechtigkeit!
Nachdem eine Weile lang keiner von ihnen etwas gesagt hatte, ertappte Joel sich dabei, den Schorf an der Wunde auf seiner Stirn zu befingern. Er nahm die Finger sofort wieder weg. Hoffentlich fragt er nicht auch noch danach!, dachte er.
«Unschöne Verletzung», meinte der Anwalt. Er nippte an seinem Kaffee. «Wie ist das passiert?»
Joel warf ihm einen bösen Blick zu, als hätte er erst gestern die warme Hundescheiße in Urban Berelius’ Rucksack gesteckt. Die Ameisen in seinen Beinen setzten sich in Bewegung. Er stampfte unruhig mit seinen Stiefeln auf den Fußboden.
«Ging es nicht um ein Testament …?»
«Genau.»
Ohne Eile öffnete Berelius eine Schreibtischschublade und nahm ein braunes Kuvert heraus, das er zwischen sie auf den Tisch legte.
«Dein Vater kam erst vor ungefähr einem Monat her. Allerdings an zwei Tagen hintereinander. Zuerst wollte er über die Nachlassregelung beraten werden. Und tags darauf hatte er das hier bei sich.»
Joel betrachtete den zerknitterten Umschlag. Die Gummierung schien schlecht gehalten zu haben, sodass Mårten ihn zusätzlich mit Klebstreifen verschlossen hatte.
Testament
, stand in derselben krakeligen Handschrift darauf, die Joel bereits aus dem kleinen Taschenkalender kannte.
«Eigentlich hat er nach meinem Vater gefragt, aber der war zu dem Zeitpunkt verreist. Also musste Mårten mit mir vorliebnehmen», sagte Berelius.
«Aha.»
«Seine Instruktionen waren sehr deutlich. Das Testament darf nur von einer einzigen Person geöffnet werden. Nämlich von dir.»
Ohne genau zu wissen, warum, roch Joel unverzüglich am Kuvert. Dann drehte und wendete er es, als hätte er Angst, dass es etwas Giftiges enthalten würde. Als er die Klebestreifen entfernte, löste sich etwas von dem staubtrockenen Papier. Im Kuvert lagen zwei sorgfältig gefaltete handbeschriebene Papierbögen.
Joel faltete sie auseinander und las. Mårten hatte so stark aufgedrückt, dass das Papier hier und dort Löcher bekommen hatte. Die Handschrift erkannte er wieder. Aber die Worte und Sätze waren in einer ihm völlig fremden Sprache verfasst.
Lieber Joel,
wenn du diese Zeilen liest, bin ich tot. Der Krebs frisst mich von innen auf. Und das Böse droht von außen. Ich habe es im Gefühl, dass die Banditen der Krankheit zuvorkommen. Die Anzeichen dafür häufen sich am Firmament.
Ich habe in meinem Leben viel Böses getan. Das hast du, mein Sohn, erfahren müssen. Wie auch andere. Und ich habe
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