Gottes Zorn (German Edition)
oder?
Er erinnerte sich noch genau an die graublaue Schwellung in ihrem Gesicht, als sie in der allerletzten Nacht an seinem Bett saß. Und an die Situation zuvor im Atelier, wo sie bewusstlos auf dem Fußboden lag. Um sie herum lagen überall Schnapsflaschen und Bierdosen, daneben sauer riechende Pfützen. Sie hatte sich im Liegen übergeben. Sie musste Mårten doch genauso gehasst haben, wie Joel es tat, oder?
Vor langer Zeit hatte einmal eine Großmutter existiert, eine grauhaarige freundliche alte Dame, die immer stärker abgemagert und schließlich dahingesiecht war, kurz bevor Elna verschwand. In ihrem Haus außerhalb von Sjöbo hatte es immer nach frischgebackenen Brötchen geduftet. War sie denn nie zu Besuch gekommen? Joel konnte sich nicht daran erinnern.
Plötzlich begann es an seiner Nasenwurzel zu kribbeln. Ohne dass er irgendetwas dagegen tun konnte, füllten sich seine Augen mit Tränen, die den ganzen Raum in einen salzigen Nebel tauchten. Irgendwo dahinter konnte er den Anwalt verschwommen erkennen. Beschämt wendete Joel sich ab und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel seines Pullis trocken.
«Interessant», sagte Berelius mit einem vagen Lächeln auf den Lippen.
Erneut überkam Joel die Lust, ihn zu schlagen, zu erniedrigen. Saß dieser selbstgerechte Idiot etwa da und grinste?
Er zwang sich zur Selbstbeherrschung.
«Und was geschieht nun?», fragte er mit belegter Stimme.
«Ich werde die Rolle des Testamentsvollstreckers einnehmen. Meine Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass Mårten Lindgrens Erbe in Übereinstimmung mit seinem Letzten Willen aufgeteilt wird. Doch im Hinblick darauf, dass der Wert seines Besitzes relativ begrenzt sein dürfte, müssen wir es vielleicht nicht formeller als notwendig angehen.»
Joel bedachte ihn mit einem mürrischen Blick. Dann schnappte er sich erneut das Testament vom Schreibtisch. Ein Name war in seinem Kopf hängen geblieben. Er hatte ihn schon einmal zuvor gesehen, hingekritzelt mit denselben unförmigen Buchstaben.
«Wer ist eigentlich dieser Månzon?», fragte er. «Karl Månzon in Simrishamn?»
«Es gibt einen Kunsthändler, der so heißt … Sein Ruf ist nicht gerade der beste, aber ich glaube, seine Geschäfte sind lukrativ.»
«Diese Bilder …», murmelte Joel.
«Wenn ich es den Nachrichten recht entnommen habe, bilden sie die Ursache für den Tod deines Vaters. Er schreibt, dass sich noch acht Stück in seinem Besitz befinden.»
«Das Merkwürdige ist nur, dass keiner weiß, wo sie sind.»
Berelius schaute Joel nachdenklich an, während er mit den Fingern nach seinem nichtexistenten Kinn tastete.
«Das Haus dort draußen ist ja ziemlich verfallen. Wir können wohl nicht damit rechnen, dass es eine größere Summe einbringen wird. Und über seine Geldmittel weiß ich nichts.»
«Es gibt ein kleines grünes Jungenfahrrad …», sagte Joel leise.
«Wie bitte?»
«Ach, nichts.»
Der Anwalt stützte sich entschieden mit den Ellenbogen auf den Schreibtisch. «Ich schlage vor, dass wir folgendermaßen vorgehen. Wenn ich richtig unterrichtet bin, hatte Mårten eine enge Verbindung zu Helga Norlin. Sie ist ja im Testament ebenfalls als Begünstigte aufgeführt. Ich denke, ihr solltet beide gemeinsam zum Haus fahren und das Mobiliar durchgehen. Und eine Liste mit den wichtigsten Gegenständen erstellen.»
Plötzlich verspürte Joel nur noch einen intensiven Widerwillen. Dieses von Schimmel befallene Eternithaus, in dem er aufgewachsen war. Mårtens erbärmliche Ölgemälde und all das verstaubte Gerümpel im Keller. Der Schmutz, die Gewalt und der Suff, die sich in die Wände eingeätzt hatten. Allein schon der Gedanke daran, erneut dort hinfahren zu müssen, verursachte ihm Übelkeit. Ich scheiß auf Mårten, dachte er. Und ich scheiß auf alles, was ihm gehört hat.
Blutsbande, zur Hölle mit euch!
Dann beruhigte er sich wieder und schaute durchs Fenster hinaus auf die Straße, wo erneut dicke Schneeflocken vom Himmel fielen.
Blutsbande, dachte er.
Noch einmal nahm er das Testament in die Hand.
Die Buchstaben waren leicht nach hinten gelehnt, als kämpften sie im Gegenwind. Er folgte ihnen Wort für Wort mit dem Blick, bis er bei einem Satz innehielt.
Vielleicht ist die Angst vor dem Tod die Wurzel meiner Bosheit
.
Kapitel 27
F atima hätte keinen Gedanken an das Wasserglas auf dem kleinen Tisch im Vernehmungsraum verschwendet, wenn Osama es nicht mit beiden Händen umschlossen und wie verhext angestarrt hätte, als
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