Gottesdienst
mitteilen, dass jemand durch ein extra gebohrtes und später mit Stahlwolle verschlossenes Loch tollwütige Fledermäuse auf Jorgensens Dachboden geschafft hat.
Ramseur verschränkte die Hände. »Und Sie glauben, dass die Standhaften das getan haben?«
»Ja. Ich glaube, Dr. Jorgensen hat rausgefunden, dass die Medikamentendiebe zur Kirche gehörten, und vielleicht sogar, dass sie das Botox gestohlen hatten. Sie mussten ihn loswerden. Aber wenn sie nach seinem Partner auch noch ihn ermordet hätten, wäre damit zu große Aufmerksamkeit auf die Praxis und den Überfall gelenkt worden. Deshalb haben sie einen Weg gefunden, es wie einen tragischen Krankheitsfall aussehen zu lassen.«
Ramseur nickte. Er trank seinen Star-Trek -Kaffee aus. Ich wartete.
»Sie sind Schriftstellerin, stimmt’s? Sie schreiben Science-Fiction«, bemerkte er, und ich wusste schon, was er als Nächstes sagen würde. »Das ist ja eine faszinierende Theorie, die Sie da aufgestellt haben.«
Er öffnete eine Mappe. Jetzt war er nicht länger der freundliche Englischlehrer, jetzt war er der Rektor, der meine Schulakte inspizierte.
»Sie haben sich ja ziemlich oft mit den Standhaften in den Haaren gelegen.«
In der Aktenmappe erkannte ich einen Polizeibericht, der offensichtlich gefaxt worden war. Der Bericht musste aus China Lake stammen.
Er begann zu zitieren. »Zeugin bei Neil Jorgensens Unfall. Klage über Eindringlinge in Ihrem Haus, die angeblich zu den Standhaften gehören. Verhaftung in Kern County wegen Beschädigung eines Polizeifahrzeugs. Dazu häufige Nennungen Ihres Namens in der Zeitung. Ach ja, und die Verhaftung Ihres Bruders wegen des Mordes an Peter Wyoming.«
Er trommelte mit den Fingern auf die Mappe. »Warum kommt es mir bloß so vor, als ob jeden Moment die Banjomelodie aus ›Deliverance‹ ertönen müsste …«
Ich legte meine Hände flach auf den Tisch. »Hier geht es nicht um irgendeine Hinterwäldler-Blutrache zwischen meiner Familie und der Kirche. Sie wissen bereits, dass die Standhaften gefährlich sind. Ich versuche Ihnen nur gerade verständlich zu machen, wie gefährlich. Diese Leute werden nicht darauf warten, dass sich Jesus per Ferngespräch bei ihnen meldet, sie wollen die Nacht mit Flammen erleuchten. Und das schon bald.«
»Ich kann Ihre Beunruhigung verstehen, Ms. Delaney. Danke, dass Sie uns diese Informationen haben zukommen lassen.«
Mein Gesicht glühte, als ich aufstand, um Luke abzuholen.
In der Lobby war es laut geworden. Ein kleines Mädchen stand weinend am Empfang, und eine Frau mit einem Schlosserhammer in der Hand verlangte: »Ich will, dass Sie ihn einsperren.« Der Beamte am Empfang starrte in einen Schuhkarton auf dem Tresen.
»Was ist das?«, fragte der Polizist.
Das Gesicht des kleinen Mädchens kräuselte sich, dann gab sie einen markerschütternden Klagelaut von sich.
»Das ist Tooter, mein Hamster.«
»Er ist entwischt«, erklärte die Mutter aufgebracht, »und dann haben wir auf einmal gehört, wie die Nachbarn schrien, ›Pass auf seine Zähne auf!‹« Sie hielt den Hammer hoch. »Das ist die Mordwaffe.«
Das kleine Mädchen schluchzte zum Steinerweichen. Der Beamte wich vor dem Schuhkarton zurück. »Tooter hatte Tollwut?«
Ich griff mir Luke und sah zu, dass wir wegkamen.
Das Gerichtsgebäude nahm einen ganzen Häuserblock ein, seine von Palmen umsäumten weißen Mauern ragten auf wie Klippen. Auf der Straße gegenüber dem Gerichtseingang parkte der grüne Dodge-Pickup vor einem Hydranten. Hinter dem Steuer saß ein Mann, der mit dem Taschenmesser einen Bleistift spitzte. Die Frau neben ihm nuckelte an einem Schoko-Milchshake.
Jesse bewegte sich durch einen gekachelten Gang auf den Ausgang zu und unterhielt sich dabei mit einem Rechtsanwaltsgehilfen. Er hatte sich mit immer neuen Anträgen von Skip Hinkel herumschlagen müssen und einen harten Tag hinter sich. Der Anwaltsgehilfe bemerkte, dass das ganze Verfahren hätte abgewendet werden können, wenn nur die exzentrische Anita Krebs darauf bestanden hätte, Priscilla Gaul wegen Einbruchs anzuzeigen. Wäre sie verurteilt worden, hätte Gaul dann immer noch auf Schmerzensgeld klagen können. Aber Anita war ja der Meinung gewesen, dass Gaul mit dem Verlust ihrer Hand schon genug gestraft war, und verzichtete darauf, Anklage zu erheben.
Ja, meinte Jesse, die Justiz war nicht immer gerecht. Er setzte sich die Sonnenbrille auf.
Die Frau in dem grünen Pickup saugte den letzten Tropfen ihres Milchshakes durch den
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