Gottesdienst
Frage«, sagte ich. »Wenn die Standhaften nicht viel von Büchern halten, warum hat Chenille dir dann befohlen, einen Job an der Universität anzunehmen?«
Glory seufzte. »Sie meinte, mit der Zeit würde ich dahinterkommen.«
Wir lauschten den Wellen, die sich an den Felsen brachen.
»Sabotage«, meinte Jesse, der sich nun wieder etwas beruhigt hatte.
»Das vermute ich auch«, sagte sie.
»Wo arbeitest du?«
»Im Bereich Biowissenschaften.«
Es war die ideale Angriffsfläche für Pastor Petes Hass – all diese Mikroorganismen, die lateinischen Fremdworte. Aber mich störte noch etwas anderes, ich konnte es nur noch nicht ganz in Worte fassen. Ich machte ein paar Schritte Richtung Wasser. Der nasse Sand glänzte silbrig, sobald sich die Wellen zurückzogen. In weiter Entfernung konnte ich den Goleta-Pier und das Beachside-Restaurant erkennen, dessen Lichter auf dem Wasser tanzten.
»Dieser harte Kern von Fanatikern, wer gehört da dazu?«, fragte ich.
»Ice Paxton, Shiloh, Curt Smollek, die Brueghel-Drillinge … insgesamt vielleicht zehn oder zwölf Leute.«
»Und du?«, fragte Jesse.
»Nein, ich gehöre nicht zum engsten Kreis.« Man konnte ihrer Stimme anhören, wie sehr sie die Ausgrenzung schmerzte.
»Und Tabitha?«
»Nein.«
Ich war erleichtert. Es überraschte mich selbst, wie sehr ich auf diese Antwort gehofft hatte, darauf, dass Tabitha nicht völlig verloren war.
»Tabithas Stern ist am Sinken«, sagte Glory. »Sie war eher Pastor Petes Liebling als der von Chenille, erst recht, seit sie die Mission, ihren kleinen Jungen zu retten, verbockt hat.«
»Ihn zu retten?«, fragte Jesse. »Glaubst du, es wäre eine Rettung gewesen?«
»Was auch immer. Pastor Pete hatte danach immer noch Verständnis für sie, aber Chenille war der Meinung, dass ihr der Mumm für die Einsätze in der Öffentlichkeit fehlt. Sie ließ sie am ausgestreckten Arm verhungern.«
Mit dem Mangel an Mut hatte das nichts zu tun, eher mit Eifersucht. Tabitha hatte dafür gesorgt, dass reichlich Eifersucht im Spiel war – bei Brian, bei Chenille und bei wer weiß wem sonst noch.
»Warum macht dir dieser harte Kern so viel Angst?«
»Weil sie jeglichen weltlichen Gütern abgeschworen haben. Sie haben ihre Häuser und Besitztümer verkauft, um sich auf den nächtlichen Angriff des Teufels vorzubereiten.«
Es war kälter geworden, aber mich fröstelte nicht nur deswegen. »Sich vorzubereiten? Mit einem Gegenangriff?«
»Sie wollen einen Präventivschlag durchführen.«
»Oh Gott«, entfuhr es Jesse.
»Wann?«, fragte ich. »Wo?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du musst es doch wissen.«
»Die Einzelheiten der Einsatzpläne werden nur denen mitgeteilt, die sie unbedingt kennen müssen. Und Putzfrauen gehören nicht dazu.«
»Als sie ihre Habseligkeiten verkauft haben … was haben sie mit dem Geld angestellt?«, fragte Jesse.
Ihr Blick sprach Bände. »Sie haben Waffen gekauft.«
Ich schloss die Augen.
»Sie haben einen ganzen Haufen, genug, um damit einen Krieg anzufangen.«
Jesses Stimme klang angespannt. »Du musst etwas über ihre Pläne rausfinden.«
»Das kann ich nicht.«
»Das nehm ich dir nicht ab.«
Ihre Stimme wurde lauter. »Sie haben mich rausgedrängt, verstehen Sie das nicht? Ich mache nur noch die Drecksarbeit. Ich werde Fußsoldat sein oder noch was Schlimmeres, Kanonenfutter oder eine Versuchsperson, die in Erfahrung bringen muss, ob die Luft mit Anthraxbakterien verseucht ist.«
Ich packte sie am Arm. »Du musst aussteigen. Heute noch.«
»Ich kann nicht.«
»Natürlich kannst du das.«
»Zurück nach draußen? Niemals, sie würden mich verdammen.«
»Wenn du mit uns kommst, können wir dir Schutz anbieten.«
»Sie meinen Polizeischutz? Sie sind verrückt. Die Polizei gehört doch zum Regierungsapparat.«
»Wir können dich in ein Frauenhaus bringen oder zu einer anderen Kirchengemeinde …«
»Die Standhaften werden mich finden. Verstehen Sie das nicht? Es gibt keinen Ausweg, ich bin gefangen.«
Sie barg das Gesicht in den Händen und fing an zu schluchzen. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie würde mir nicht helfen können.
17. Kapitel
Auf dem Weg nach Hause rief Jesse bei der Polizei an und hinterließ eine Nachricht für einen Detective, den er kannte. Bei ihm zu Hause angekommen, bezahlten wir die Babysitterin und ließen uns ratlos und erschöpft am Küchentisch nieder.
»Wenn Tabitha bei Chenille keinen Stein mehr im Brett hat, vielleicht verliert dann die Kirche das
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