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Gottesdienst

Titel: Gottesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gardiner
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erreichte jetzt die State Street. Touristen und Einheimische stauten sich auf den Gehsteigen, als die Standhaften die Straße blockierten. Der Verkehr kam zum Erliegen. Weit entfernt konnte ich eine Sirene hören.
    Shiloh scheuchte die Majoretten an die Spitze, wo sie dem Trauerzug an wartenden Autos und ratlosen Fußgängern vorbei einen Weg bahnten. Die riesigen schwarzen Schleifen an ihren Pferdeschwänzen hüpften auf und nieder. Shiloh begann ein Lied zu skandieren wie ein Drill Sergeant, der die Rekruten im Ausbildungslager zum Marschieren antreibt.
    »Die Welt hat er lang genug gequält – Satans Tage sind gezählt.«
    Vor uns bog ein Streifenwagen mit Blaulicht in die Kreuzung ein. Ich sah mich um. Tabitha fiel hinter dem Pickup zurück, anscheinend tief in Gedanken. Dann entdeckte ich Glory. Sie klatschte die Slogans im Takt mit, machte dabei aber keinen besonders überzeugten Eindruck.
    Sally Shimada rannte an mir vorbei, sie sprach immer noch atemlos in ihr Diktiergerät. »Ein Streifenwagen hat an der Ecke Canon und Perdido Street angehalten, aber die Beamten haben noch nicht in das Geschehen eingegriffen und der improvisierten Trauerprozession noch keinen Einhalt geboten.«
    Fast hätte ich ihr dazu gratuliert, dass sie gleichzeitig rennen und Trauerprozession aussprechen konnte, aber da war sie auch schon an mir vorbei. Ich sah nur noch ihr glänzend schwarzes Haar vor mir hin- und herschwingen.
    Gerade flogen die nächsten Eier, sie trafen einen New-Age-Laden namens Crystal Blue Persuasions. Weiter vorne zerschellten Eier an den Fassaden eines Yoga-Centers, an der Galerie Prints of Darkness und, aus welchem Grund auch immer, an den Fenstern von Starbucks. Glory fiel nun definitiv zurück und versuchte sich in Richtung Gehsteig davonzustehlen. Vor uns krachten Eier, Müll und ein Skateboard in ein Schaufenster. Die Lieblingsmusik der Standhaften drang an mein Ohr – das Zersplittern von Glas. Dann hörte ich eine Polizeisirene und eine megafon-verstärkte Stimme, die den Leuten befahl, die Straße zu räumen.
    Ich drängte mich zu Glory durch und fasste sie am Arm. Sie öffnete den Mund und blinzelte mich an. »Evan?«
    »Lass uns reden.«
    »Nein.« Sie blickte über ihre Schulter. »Die merken, wenn ich nicht mehr da bin.«
    Der Fernsehreporter und sein Kameramann hetzten an uns vorbei. Rasch zog ich Glory in den Eingang einer Sushi-Bar.
    »Dann später, heute Abend.«
    In der Hand hielt sie ein Ei. Ihren Handrücken schmückte eine selbst gemachte Tätowierung, die blauen Linien eines Knastsouvenirs. Sie zögerte kurz. »Okay, ich bin um neun mit der Arbeit an der Universität fertig. Wir treffen uns vor dem Marinebiologielabor.«
    Sie wandte sich ab und rannte die Straße entlang. Ein Polizeiwagen mit Blaulicht fuhr vorbei. Der Ober der Sushi-Bar spähte durch die Tür, als ein flackernder Gegenstand auf ein weiteres Ladenfenster zuschoss.
    »Ach, du Scheiße«, rief er. »Das ist einer von diesen … wie heißen die Dinger mit dem Lappen im Benzin?«
    »Ein Molotow-Cocktail?«
    Ein Krachen, ein Aufblitzen, dann schlugen Flammen aus dem Ladeneingang. Ich trat hinaus auf den Gehsteig. »Können Sie sehen, welcher Laden es ist?«
    »Ja, es ist Beowulf.«

16. Kapitel
    »Ausgebrannt«, sagte Jesse.
    Mit meinem Mietwagen umrundeten wir den Campus der University of California, der hoch auf einer Klippe über dem Ozean lag. Im Scheinwerferlicht leuchteten Eukalyptusbäume auf, die flachen Schlackenbeton-Schlaftrakte und das Institut für theoretische Physik, an dem einige der Nobelpreisträger der letzten Zeit beheimatet waren.
    Jesse lehnte sich gegen die Wagentür. »Ich spreche nicht nur vom Buchladen, sondern auch von Anita. Du hättest sie sehen sollen, wie sie in der ausgebrannten Ruine stand, zitterte und ihre kleinen Hände zu Fäusten ballte. Sie wirkte, als wäre sie zweihundert Jahre alt, und murmelte was von ›Faschisten‹.«
    Die Straße führte abwärts an Felsen vorbei bis zum Strand bei Campus Point. Ich bog auf den Parkplatz vor dem Marinebiologielabor ein. Im Scheinwerferlicht konnte ich schon Glory erkennen, die auf der Motorhaube eines verbeulten silbernen Toyota Celica saß. Sie trug ein Batik-Shirt, Zimmermannshosen und ein blaues Kopftuch.
    »Dann wollen wir mal hören, wie sie den Krawall heute rechtfertigt«, sagte Jesse.
    »Nein.« Ich stellte den Motor ab. »Ich will nicht, dass du sie reizt.«
    »Sie hat heute dazu beigetragen, Anitas gesamtes Lebenswerk zu

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