Gottesgericht
gehen.
»Keine Sorge, ich verstehe, wenn Sie nicht bleiben können. Es ist nicht einfach mit Kindern im Schlepptau. Aber Liam hat etwas für Sie hinterlassen, und es lag ihm am Herzen, dass ich es Ihnen möglichst schnell zukommen lasse.«
»Ach so?«
»Nichts Wertvolles, das kann ich Ihnen sagen. Liam besaß keine irdischen Güter. Aber es schien ihm wichtig zu sein.«
»Ich verstehe. Also gut, ich schaue vorbei.«
Paul und Cliona sprachen gerade mit anderen Trauernden, deshalb bugsierte Jane ihre Kinder, statt den beiden zu kondolieren, an den Rand des Grabs und schaute auf den Sarg hinunter.
»Auf Wiedersehen, Liam«, sagte sie leise und bat Bethann, ihr die rote Rose zu geben, die diese hatte tragen dürfen und die Jane nun auf den Sarg warf.
Auf dem Weg zum Silver Dolphin dachte sie an all die Menschen, die ihr nahegestanden hatten und jung gestorben waren. Ihr Bruder Scott und ihre Schwester Hazel, ihr Mann Ben und jetzt Liam Lavelle. Nicht, dass ihr Lavelle so nahe gewesen wäre, aber er hatte sehr wohl einen besonderen Platz in ihrem Herzen. Ein starkes Angstgefühl wegen Scott und Bethann erfasste sie plötzlich. Sie sah im Rückspiegel nach ihnen. Beide sahen sich Bücher an, die sie mitgebracht hatten. »Alles in Ordnung, ihr zwei?«, fragte sie.
»Ja, Mommy«, antworteten sie im Chor, die routinierte Erwiderung, die zeigte, dass es sich um eine oft gestellte Frage handelte. Sie würde aufpassen müssen, ihre Ängste nicht auf sie zu übertragen.
»Sehr gut. Wir schauen nur ganz kurz bei dieser Frau vorbei, okay?«
»Ja, Mommy.«
Sie blockten ihre Fragen einfach ab, damit sie sich wieder ihren Büchern widmen konnten. Janes Angstattacke erlosch so schnell, wie sie gekommen war.
An der Tür des Silver Dolphin fanden sie sich hinter einigen Leuten wieder, die in die Lounge strömten und plauderten und lachten. Es waren Trauergäste – Jane hatte sie auf dem Friedhof gesehen –, doch an ihrer Fröhlichkeit war nichts Respektloses. So war das auf irischen Begräbnissen. Jane wollte ihnen gerade in die Lounge folgen, als sie hörte, wie jemand nach ihr rief.
Sie drehte sich um und sah, dass Mary ihr von der Tür zum Restaurant winkte. »Kommen Sie hier herein, Jane. Da sind wir ungestört.«
Nachdem Jane die Kinder durch die Tür geschoben hatte, sah sie, dass das Restaurant geschlossen war. Mary sah jetzt weniger abgehärmt aus. Sie hatte sich das Haar zurechtgemacht und ein wenig Make-up aufgetragen. Und unter ihrem Mantel trug sie ein elegantes taubengraues Jackett und einen Rock.
»Und wen haben wir hier?«, sagte sie und bückte sich, um die Kinder direkt anzusprechen.
Sie antworteten scheu und blickten Ermutigung suchend zu ihrer Mutter hinauf.
Mary richtete sich auf und sah Jane in die Augen. »Es tut mir so leid, was mit Ihrem Mann geschehen ist.«
Jane nickte. »Danke.«
»Warten Sie nur einen Augenblick. Ich bin sofort wieder da.« Sie durchquerte das Restaurant, vermutlich, um ins Haus zu gehen.
Jane bat die Kinder, sich auf eine Couch im Eingangsbereich zu setzen. Sie hatten kaum eine Minute gewartet, als die Tür, durch die sie gekommen waren, plötzlich weit aufging und Cliona mit ihrem Smartphone in der Hand eintrat.
»Mom sagt, ich soll Ihnen Gesellschaft leisten«, sagte sie. Das war wenig charmant ausgedrückt, aber in ihrem Tonfall lag auch keinerlei Verdruss. Sie trug einen silbernen Cardigan über einem schlichten schwarzen Kleid, das ihrer schlanken Figur schmeichelte. Das blonde Haar war hinten kurz, aber die Fransen vorn fielen ihr bis auf die Augen.
»Bist du Cliona? Wir haben am Telefon miteinander gesprochen …«
»Ja.«
Cliona sah zu den beiden Kindern auf der Couch. »Möchten die zwei etwas trinken oder knabbern oder so?«
»Nein, vielen Dank, Cliona, sie brauchen nichts.«
»Und wie sieht es mit Ihnen aus?«
Sie überlegte sich, nach einem Glas Wein zu fragen, entschied sich aber dagegen. »Nein, danke.«
Cliona stand verlegen da.
Dann fiel Jane etwas ein. »Sag mal, hast du nicht gerade deinen Einundzwanzigsten gefeiert?«
»Nein. Es war für Donnerstag geplant, aber wir mussten es verschieben.«
»Ach, wie schade. Liam hat bestimmt gehofft, dass seine Krankheit deine Geburtstagspläne nicht durcheinanderbringt, und sicher hätte er nie gedacht«, Jane musste unfreiwillig scharf Luft holen, »dass er nicht mehr dabei sein würde.«
Cliona schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein – er wusste, dass er es nicht schaffen würde. Er hat sogar
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