Gottesopfer (epub)
Tränen in einer schlaflosen Nacht.
»Sie hat sich immer noch nicht gemeldet. Ich fürchte, dass ihr etwas Schreckliches zugestoÃen ist.« Den letzten Teil des Satzes hatte sie beinahe geflüstert, vielleicht um das Gesagte nicht selbst hören zu müssen.
Sam nickte. »Geben Sie mir bitte den Schlüssel zu ihrer Wohnung. Ich arbeite bei der Polizei und kümmere mich darum. Es gibt sicherlich eine einfache Erklärung für alles.«
Frau Lopez schüttelte den Kopf. »Daran glaube ich nicht mehr.«
Sie schlurfte in die Wohnung und holte den Schlüssel.
»Haben Sie sie schon als vermisst gemeldet?«, fragte Sam sie, als sie zurückkam.
»Nein, ich dachte ⦠ich hatte gehofft â¦Â« Sie fing an zu weinen. Sam legte ihr seine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht, um sie zu beruhigen und ihr das Gefühl zu geben, dass sie mit ihrer Sorge um Lina nicht allein war. Dann drehte er sich um, stürmte die Treppe hinunter und nahm dabei drei Stufen auf einmal.
Als er Linas Apartment betrat, blieb er zunächst einmal regungslos im Eingang stehen. Er überlegte, wie es hier ausgesehen hatte, als sie es am Freitagabend betreten hatten. Alles war dunkel gewesen. Er schloss die Augen, um sich besser zu erinnern, doch das Einzige, was er noch vor Augen hatte, waren Linas Umrisse, ihre Augen, die im Licht der StraÃenlaterne geglänzt hatten, ihr Lächeln, als er ihre Hände genommen hatte. So kam er nicht weiter.
Er öffnete die Augen wieder und sah zum Bett. Es war zerwühlt, noch zerwühlt von der Nacht mit ihm, und auf dem Kissen lag der Zettel, den er ihr geschrieben hatte. Sie hatte ihn vom Nachttisch genommen, gelesen und dort liegen gelassen. Und das hieÃ, dass sie seitdem nicht mehr in ihrem Bett geschlafen hatte. Ein Handtuch lag auf dem Bett. Es war zerknüllt, und als er es auffaltete, bemerkte er, dass es an einigen Stellen noch leicht feucht war und braune Flecken hatte. AuÃerdem hingen einige dunkle Haare darin. Auf dem Stuhl neben der Tür lag ein weiteres Handtuch, ein gröÃeres, eines, das man sich um den Körper schlingt. Sam dachte nach. Sie hatte also am Samstagmorgen, direkt nach dem Duschen, das Haus verlassen. Ohne sich Zeit zu nehmen, ihr Apartment aufzuräumen, das Bett zu machen, die Handtücher ins Bad zu hängen. Selbst der Kleiderschrank stand offen.
Sam ging zu der kleinen Kochecke. Hier war alles sauber, jedenfalls sah er kein benutztes Geschirr. Dann öffnete er den Müll. Ein eigenartiger Geruch strömte ihm entgegen. Mit spitzenFingern zog er einen Lappen heraus und roch daran. Es roch nach Krankenhaus. Vielleicht hatte sie etwas desinfiziert? Sie war Arzthelferin und hatte sicherlich Zugang zu medizinischen Desinfektionsmitteln. Er holte eine Plastiktüte aus dem Schrank und packte den Lappen hinein. Dann entdeckte er auf dem Teppich eine Spur kleiner brauner Tropfen, die vom Bad zur Apartmenttür führten. Hatte sie sich einen Kaffee gemacht und war damit ins Bad gegangen? Er öffnete die Tür zum Badezimmer und sah sich nach einer Tasse um. Eine Tasse konnte er nicht entdecken, dafür aber ihr Handy. Es lag neben dem Waschbecken und war ausgeschaltet. Wahrscheinlich war der Akku leer. Kein Wunder, dass er sie nicht hatte erreichen können. Doch komisch war es schon, dass sie ohne ihr Handy das Haus verlassen hatte.
Dann untersuchte er die Flaschen auf dem Badewannenrand. Duschgel, Shampoo, Bodygel, Rasierschaum, Bodycreme, Bodylotion, Haarconditioner und ein getöntes Haarshampoo â was Frauen so alles benötigten. Die Flasche mit dem getönten Shampoo war offen. Er drückte einen Tropfen auf seinen Finger. Er war braun. Lina hatte sich also die Haare gewaschen und war mit dem Shampoo im Haar durch die Wohnung zur Tür gelaufen. Warum? Um dem Postboten zu öffnen? Aber er konnte nirgendwo ein Paket oder ein Einschreiben entdecken.
Sam schüttelte den Kopf. Das war alles sehr seltsam. Er wollte gerade die Wohnung verlassen, als er etwas entdeckte. Es lag halb verdeckt von der heruntergerutschten Bettdecke auf dem Boden. Er bückte sich und hob es auf. In seiner Hand hielt er einen kleinen silbernen Engel. Sam erinnerte sich an das Armband, das Lina stets trug. Wahrscheinlich hatte sich der kleine Engel gelöst. Er steckte ihn ein und verlieà die Wohnung.
Wie schon nach dem Telefonat mit Linas Mutter überkam ihn das ungute
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