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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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traute seinen Ohren nicht. Lina hatte auf ihn kerngesund gewirkt. Er konnte sich nicht erinnern, eine Narbe gesehen, oder sollte er sagen: gefühlt zu haben. Gut, er war an diesem Abend mit seinen Sinnen ganz woanders gewesen. Das könnte allerdings dann bedeuten, dass sie irgendwo mit Herzversagen zusammengebrochen war. Die Stimme von Linas Mutter zitterte, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
    Â»Wissen Sie, es ist nicht ihre Art, sich nicht zu melden.«
    Sam sah Lina tot auf dem Boden ihres Apartments liegen. Er schauderte.
    Â»Waren Sie bei ihr zu Hause?«, fragte er schnell.
    Â»Ja, heute Mittag. Sie war nicht da.«
    Wenigstens das. Sie lag also nicht tot in ihrem Apartment. Er entspannte sich ein wenig.
    Â»Frau Lopez, ich bin im Moment nicht in Hamburg, aber ich fahre jetzt zurück und melde mich bei Ihnen, wenn ich da bin. Bitte geben Sie mir Bescheid, wenn Sie von ihr hören. Bitte«, sagte Sam nachdrücklich, gab seine Handynummer durch und legte auf.
    Er kannte Lina nicht gut genug, um diese Situation einzuschätzen, aber dass sich ihre Mutter so große Sorgen machte, beunruhigte ihn.
    Trotz der drei Becher Wein, die er bereits getrunken hatte, wollte er sich sofort auf den Weg nach Hamburg machen. Er suchte Juri im großen Saal und fand ihn schließlich in einem mit Fresken und Mosaiken verzierten Nebenraum. In einer Ecke standen Musiker und spielten eine Ungaresca, zu deren Viervierteltakt viele Paare tanzten. Eine mit Ziegenfell bespannte Trommel gab den Rhythmus an, sie wurde begleitet von einer Laute, einer Sackpfeife und einer Fiedel. Die Paare drehten sich umeinander, machten zwei Schritte nach links, zwei Schritte nach rechts, wechselten den Platz und drehten sich wieder zueinander. Juri war in seinem Element. Er grabschte mehr an seiner Hofdame herum, als dass er sich an die Schritte hielt. Sam bahnte sich einen Weg durch die Menge zu ihm und nahm ihn zur Seite.
    Â»Ich fahre nach Hamburg. Ich muss …«
    Â»Was? Das geht jetzt nicht.«
    Â»Du kannst ja bleiben und die holde Maid flachlegen.«
    Â»Das werd ich auch!« Juri strahlte wie ein kleiner Junge, der ein neues Spielzeug bekommen hat. Und obwohl er schon ziemlich betrunken war, bemerkte er Sams plötzlichen Stimmungswandel. »Ist was passiert?«, fragte er ernst.
    Â»Das weiß ich noch nicht. Wir telefonieren morgen.«
    Jemand sang: »Dû bist mîn, ich bin dîn / des solt dû gewiss sîn / Dû bist beslozzen / in mînem herzen / Verlorn ist daz sluzzelîn / du muost ouch immer darinne sîn.«
    Sam wurde plötzlich alles zu viel, die Menschen, die Musik und die vom Rauch der Fackeln stickige Luft. Er verabschiedete sich schnell von Juri und dem Professor, der ebenfalls eine Tanzpartnerin gefunden hatte, und floh aus dem Palas der Burg Burghausen. Er merkte nicht, dass ihm jemand folgte: der Henker mit den merkwürdigen Augen.

49
    Während der Fahrt musste er immer wieder die Scheibe herunterkurbeln, um sich die kalte Luft um die Nase wehen zu lassen. Er war todmüde, ständig fielen ihm die Augen zu.
    Die Autobahnen waren leer, und Sam drückte das Gaspedal durch. Neben ihm auf dem Sitz lag ein handgeschriebener Zettel mit Hamburger Kennzeichen, die ihm der Parkplatzwächter gegeben hatte und die er morgen gleich durch den Computer jagen wollte. Nach dreieinhalb Stunden hatte er endlich die Höhen der Kasseler Berge hinter sich gelassen, und das Land wurde allmählich ebener.
    Er sah auf die Uhr: Es war drei Uhr morgens, gegen sechswürde er in Hamburg sein. Seine Gedanken gingen wieder zu Lina. Was war mit ihr passiert?
    Nur ein paar Kilometer hinter ihm fuhr ein anderer Wagen, und auch dieser Fahrer war mit seinen Gedanken bei seiner Geliebten, seiner Geliebten aus vergangenen Zeiten. Er war zwar immer noch wütend auf den Arzt, der ihn in Hypnose versetzt hatte, ohne ihn zu fragen, aber im Nachhinein war er ihm dankbar. Er hatte sich von Anfang an irgendwie zu ihr hingezogen gefühlt. Schon beim ersten Mal war ihm das goldene Kreuz, das auf ihrer Brust geruht hatte, aufgefallen. Sie war ein Kind Gottes. Er könnte noch einmal von vorne anfangen. Bei dem Gedanken an sie durchfuhr ihn ein Schauer der Erregung. Sie hatte beinahe nackt vor ihm gestanden, nur in ein Handtuch gehüllt, die Schultern frei, die Beine nass und nackt. Die Tropfen hatten ein paar dunkle Flecken auf dem hellen Teppich hinterlassen, bevor er sie

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