Gottesopfer (epub)
bewusstlos geschlagen hatte. Sie war in seine Arme gefallen, ihr Handtuch hatte sich von ihrem Körper gelöst, und ein heftiges Verlangen hatte sich in ihm geregt. Ein Verlangen, wie er es noch nie verspürt hatte. Bei seiner Frau war es etwas anderes gewesen. Sie hatte ihm zwar gezeigt, was körperliche Liebe war, aber ihn nie so erregt wie Lina. Kurz hatte er überlegt, sie gleich in ihrem Apartment zu nehmen, aber er wollte, dass auch sie die Wiedervereinigung erlebte. Er hatte sie angezogen, darin hatte er noch Ãbung, und sie mit Enfluran betäubt. Dann hatte er gewartet. Er hatte den ganzen Tag neben ihr gesessen, erst als es allmählich dunkel geworden war, hatte er sie ins Auto getragen und zu sich nach Hause gebracht. Dieses Mal würde ihm keiner dazwischenfunken, auch nicht der Kerl, der die Nacht mit ihr verbracht hatte. Eifersucht stieg in ihm auf. Zur Not würde er ihn ausschalten â auch aus anderen Gründen. Denn er hatte ihn schon mehrmals gesehen, er schlich immer wieder um die Kirche herum. Und es konnte kein Zufall sein, dass er jetzt auch noch auf dem Fest aufgetaucht war. Er hatte schon früher vermutet, dass er bei der Polizei war. Nun hatte ihn die Reaktion seines Begleiters überzeugt, als er dem Mönch blitzschnell in den Arm gefallen war. Keine Frage, sie waren hinter ihm her, vor allem nachdem sie die Asche der Frau im Eppendorfer Moor gefunden hatten. Die Zeit drängte, so viel stand fest.
Nur eines war ihm nicht klar: Was hatte der Typ damit gemeint, als er am Telefon nach dem Herz gefragt hatte? Er war ihm aus dem Saal gefolgt und hatte gehört, dass Lina offenbar inzwischen vermisst wurde. Doch die Sache mit dem Herz hatte er nicht verstanden. Ging es etwa um Linas Herz? War sie krank? Hoffentlich hatte er ihr mit dem Anästhetikum keinen Schaden zugefügt. Er kramte unter seinem Henkerswanst den gestohlenen BrustreiÃer hervor und legte ihn auf den Beifahrersitz. Stolz sah er auf seine neueste Errungenschaft, bevor er seinen Blick wieder auf die Fahrbahn richtete. »Ich bin auf dem Weg, meine Geliebte«, flüsterte er in die Dunkelheit hinein, und seine Gesichtszüge wirkten sanft im gelblichen Licht der Mittelkonsole.
50
HAMBURG
Sam fuhr gegen sechs Uhr morgens über die Elbbrücken nach Hamburg hinein. Er hatte nur zweimal zum Tanken angehalten, ansonsten hatte er sich keine Pause gegönnt. Dunkelgraue Wolken hingen tief über der Stadt, aus denen ab und zu ein gezackter Blitz fuhr und ein kräftiges Gewitter ankündigte. Trotz der frühen Stunde stand er kurz vor der Alster bereits im Stau. Auf einmal klatschten dicke Tropfen auf die Windschutzscheibe, erst nur ein paar, doch innerhalb weniger Augenblicke verschwammen die Rücklichter der Autos vor ihm. Er schaltete die Scheibenwischer an. Der Regen trommelte laut auf das Blechdach des Autos. Er kniff die Augen zusammen, nicht nur um besser durch den Regenvorhang sehen zu können, sondern auch um zu verhindern, dass ihm die Augen zufielen. Seine Lider schienen unendlich schwer zu sein.
Obwohl er wusste, dass niemand antworten würde, drückte er erneut auf Wahlwiederholung, eine Fingerbewegung, die er in den letzten Stunden so oft gemacht hatte, dass er gar nicht mehr hinsehen musste. Und er brauchte das Handy auch nicht mehr ans Ohr zu halten, die automatische Ansage hörte er auch so.
Er fuhr im Stop-and-go-Verkehr quer durch die Hamburger Innenstadt und erreichte schlieÃlich ein hässliches gelb geklinkertes Gebäude. Er sprang aus dem Auto und fuhr mit dem Finger über die Klingelschilder, bis er bei Lopez ankam und auf die Klingel drückte. Nach einem Moment ertönte ein Summen. Sam drückte die schwere Tür auf, trat seine Schuhe auf dem braunen FuÃabtreter ab und stieg die Steinstufen in dem ehemals weiÃen Treppenaufgang nach oben. Als sich irgendwo weiter oben eine Tür öffnete, beugte sich Sam über das Treppengeländer, um abzuschätzen, wie weit er noch gehen musste. Er entdeckte einen verwuschelten Kopf ein Stockwerk über ihm.
»Ich bin Sam. Tut mir leid, dass ich Sie so früh wecken muss, aber ich brauche die Schlüssel zu Linas Apartment«, rief er ihr zu.
Wenige Momente später stand Sam vor der offenen Wohnungstür. Frau Lopez strich sich in ihrem geblümten Morgenmantel über die zerzausten grauen Haare. Ihre Augen waren verquollen, entweder vom Schlaf oder von zu vielen
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