Gottesopfer (epub)
Der gleiche tote Blick, das gleiche wahnsinnige Gewippe, das gleiche eintönige Geflüster. Sam merkte plötzlich, dass sein eigener Fuà ebenfalls wippte, und stellte ihn fest auf den Boden. Irgendwo fiel eine Tür ins Schloss, dann hörte er Schritte hinter sich, und Doktor Willfurth sagte: »Es ist aussichtslos. Glauben Sie mir, wir haben alles versucht, um sie zum Reden zu bringen.«
»Haben Sie ihr auch mal eine Ohrfeige verpasst?«
Doktor Willfurth sah ihn entrüstet an.
Sam verteidigte sich: »Wenn sie wirklich gefoltert wurde, würde das vielleicht die Erinnerung daran zurückbringen. Kann natürlich auch sein, dass sie dann anfängt, die Bibel rückwärts aufzusagen.«
»Herr OâConnor, das meinen Sie doch nicht im Ernst, oder? Gewalt ist keine Therapieform.«
»Nein, war nur ein Scherz. Beruhigen Sie sich!«
Sam stand auf und seufzte tief: »Es ist nur so frustrierend. Ich habe wirklich das Gefühl, dass sie uns weiterhelfen könnte, wenn man sie nur irgendwie dazu bringen könnte, sich zu erinnern und zu reden.«
Plötzlich hatte er eine Idee. Er holte sein Handy aus der Tasche, schaltete die Kamera ein, hielt die kleine Linse vor das Gesicht der Frau und drückte auf den Auslöser.
55
Die Tür öffnete sich, dann ging das Licht an. Lina kniff die Augen fest zusammen. Sie hatte so lange in der Dunkelheit gelegen, dass das plötzliche Licht sie fast blind machte. Sie öffnete die Augen vorsichtig, und da sah sie ihn. Sie erkannte, wer da an ihren FuÃfesseln herumnestelte und sich anschlieÃend neben sie setzte. Sie konnte es kaum glauben. Starr blieb sie liegen und versuchte zu verstehen.
»Es tut mir leid, dass ich dich hier so zurücklassen musste, aber ich hatte noch einiges zu erledigen. Jetzt habe ich alle Zeit der Welt. Nur für dich.« Er nahm ihr Handgelenk in die Hand und holte etwas aus seiner Hosentasche.
Lina brauchte nicht hinzusehen, sie konnte an dem Geklimper erkennen, dass es ihr Armband war, das er ihr umband. Ihre Erstarrung löste sich.
»Sagen Sie mal, ist bei Ihnen eine Schraube locker? Was fällt Ihnen ein, mich hier einzusperren?«, fragte sie zornig.
»Verstehst du denn nicht? Gott hat uns wieder zusammengeführt.«
»Was?« Ungläubig sah sie ihn an. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst.«
»Dieses Mal wirst du unser Kind bekommen können, meineGeliebte. Keiner wird uns davon abhalten, für immer vereint zu sein.«
Was für ein Kind? Lina erinnerte sich dunkel an die Rückführung von Herrn Lange. Es war grauenhaft gewesen, selbst Doktor Ritter war erschüttert gewesen. Eine junge Geliebte und eine grausame Ehefrau, das Kind, der Scheiterhaufen und dann die Flammen. Aber was hatte sie damit zu tun? Sie hatte das Ende der Sitzung, als Doktor Ritter gefragt hatte, wer Herrn Lange auch in seinem jetzigen Leben begleitete, nicht mitbekommen. Konnte es sein, dass �
Plötzlich fingerte er an ihrer Bluse herum. Sie stieà seine Hand weg. »Was soll das?«
»Du bist Luise, meine Geliebte aus dem 17. Jahrhundert, weiÃt du das denn nicht? Eine jahrhundertlange Suche hat aufgehört. Es ergibt alles einen Sinn. Nun verstehe ich, warum ich nach Hamburg gekommen bin, warum ich diese Operation hatte. Gott hat uns wieder zusammengeführt.«
Lina begriff nun langsam. Sie war also die Frau, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Und dieser Spinner dachte, er könnte das Rad der Zeit einfach zurückdrehen? Wieder wie vor gut drei Jahrhunderten ihr Geliebter sein und mit ihr ein Kind zeugen? Sie sah ihn und schüttelte sich innerlich.
Sie musste hier raus. Nur wie? Sie sah sich in ihrem Gefängnis um. Zum ersten Mal sah sie bei Licht, wohin er sie gebracht hatte. Ihr Blick wanderte über die Mauern aus roten Klinkersteinen. Es gab kein Fenster, nicht einmal eine kleine Luke, durch die sie sich hätte zwängen können. Dann betrachtete sie den Stuhl in der Ecke genauer. Er war aus Holz und sah ziemlich eigenartig aus. Er war gespickt mit spitzen Dornen. So etwas hatte sie schon einmal gesehen, in einem Film über Hexenprozesse. Sie bekam Angst. Panisch sah sie sich um und entdeckte Eisenketten an der Wand und auf dem FuÃboden vor ihrem Bett einen groÃen dunklen Fleck. Blut? Sie war sich nicht sicher, aber eines wusste sie nun mit Gewissheit: Das hier war ein Folterkeller, und Herr Lange war
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