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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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wurde und sich seine Schritte entfernten.
    Lina war wieder allein in ihrer Gruft.

53
    Pater Dominik saß in seinem Arbeitszimmer und starrte auf den Bildschirm seines Laptops. Er senkte den Kopf und rieb sich die Augen. Er fühlte sich wie ein alter Mann. Er hatte kaum geschlafen, seit die Polizei ihm gesagt hatte, dass Isabella tot war. Er machte sich große Vorwürfe. Er war an ihrem Tod schuld, genau wie am Tod der anderen Frauen. Er war ein schlechter Diener Gottes. Lange hatte er geglaubt, er sei berufen, er sei einer der Auserwählten. Er war davon überzeugt gewesen, er sei dazu bestimmt, die Menschen wieder auf den rechten Weg zu führen. Nicht umsonst, so hatte er gedacht, kamen die hohen Geister während der Sitzungen zu ihm, um ihn zu belehren. Doch nun wusste er nicht mehr, was er glauben sollte. Er fing an zu tippen, Buchstabe für Buchstabe, sie reihten sich aneinander, bildeten Worte und schließlich Sätze. Plötzlich stockte er. Sollte er es wirklich tun? Er beschloss, noch einmal darüber nachzudenken, und stand auf, um sich aus der Küche eine Suppe zu holen. Eine kleine Stärkung würde ihm sicherlich guttun.
    Als er zurück in sein Arbeitszimmer gehen wollte, wäre ihm vor Schreck fast der Suppenteller aus der Hand gefallen. Im Vorraum auf einem der Stühle saß plötzlich ein Mann und sah ihn an. Wie war er hereingekommen? Das Pfarrhaus und die Kirche waren abgeschlossen – oder? Er dachte angestrengt nach. Doch, er war sich ziemlich sicher, dass er auch die Verbindungstür zur Kirche abgesperrt hatte.
    Â»Schön, dich wiederzusehen.«
    Pater Dominik sah ihn erstaunt an und versuchte das Gesicht einzuordnen. Seine Stirn legte sich angestrengt in Falten, aber er hatte keine Idee, woher er den Mann kennen sollte, der ihn so vertraut ansprach.
    Â»Ist lange her, ich weiß.«
    Dann fielen ihm die Augen auf. Eines war blau, das andere grün, fast wie seine.

    Â»Tut mir leid, ich weiß nicht …«, sagte er stotternd. »Ich kann mich nicht an Sie erinnern.«
    Â»Das enttäuscht mich. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so gar nicht an mich erinnerst. Du hast mich gelöscht wie eine beschissene Datei auf einer Festplatte.«
    Die Augen des Fremden hatten sich zu kleinen Schlitzen verengt, das freundliche Gesicht war plötzlich zu einer hasserfüllten Fratze verzerrt. Doch nach einem kurzen Augenblick entspannten sich seine Gesichtszüge wieder, und er sprach mit übertrieben sanfter Stimme. »Natürlich mache ich dir keinen Vorwurf, du warst ja selbst noch ein Kind, als die Fotze und der Alte mich abgeschoben haben. Aber vielleicht kannst du mir ja helfen, Bruderherz. Weißt du, warum sie mich weggegeben haben und nicht dich, Simon?«
    Simon? Seit Jahren hatte ihn keiner mehr bei seinem weltlichen Namen genannt. Und Bruderherz? Sein Bruder war doch tot, genau wie seine Schwester. Pater Dominik sah den Mann verwirrt an. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Er dachte fieberhaft nach. An die Zeit vor seinem zehnten Geburtstag konnte er sich kaum erinnern, sie lag wie in dichtem Nebel. Vielleicht weil der Schmerz über den Verlust des kleinen Bruders zu groß gewesen war? Oder weil er ein schlechtes Gewissen hatte?
    Er sah auf den Teller in seiner Hand. Er hatte ihn schräg gehalten, und vom Rand lief die Suppe auf den Boden. Plötzlich lichtete sich der Nebel, öffnete sich ein Loch wie auf einer beschlagenen Scheibe, in die man ein Guckloch wischt. Bilder blitzten in seinem Gedächtnis auf. Suppe, die vom Tisch auf den Boden lief. Das kleine Kindergesicht, das in den vollen Teller gedrückt wurde, bis es keine Luft mehr bekam. Geschrei. Die Schublade, die aufgerissen wurde. Der Kochlöffel. Eine knallende Tür. Die Schreie eines Kindes, die leiser wurden und schließlich verstummten.
    Auf einmal riss der Nebel ganz auf. Er hatte sie beide nicht beschützen können, den kleinen Konstantin und seine Schwester.Er lebte damals selbst in ständiger Angst vor dieser Frau, hatte seine unberechenbare Mutter gefürchtet wie sie. Eines Tages war Konstantin weg gewesen. Sie hatten ihm erzählt, er sei bei Tante Elisabeth untergebracht, aber er hatte ihnen nicht geglaubt. Für ihn hatte sie Konstantin totgeschlagen, so wie sie seine Schwester getötet hatte. Damals, als sie gestorben war, versuchten sie ihm einzureden, dass es ein Unfall gewesen war. Aber er hatte es

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