Gottesopfer (epub)
wirst nun mit dem heiligen Chrisam gesalbt; denn du bist Glied des Volkes Gottes und gehörst für immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit.«
Um ihn herum antworteten die Nonnen: »Amen!«
Danach gab der Priester ihm eine Kerze und sagte: »Empfange das Licht Christi.«
Das alles war ihm unheimlich. Der kleine Junge blickte um sich und sah nur schwarz gekleidete Erwachsene mit ernsten Gesichtern, die auf ihn herabsahen. Und warum hatten sie ihm einen anderen Namen gegeben? Er hieà doch gar nicht Lukas. Und er wollte nicht hier sein.
Endlich hörten sie auf, ihn anzustarren. Eine Nonne nahm ihn an der Hand und führte ihn aus der Kirche heraus in sein Zimmer. Es lag direkt neben dem Hospiz und hatte weià verputzte Wände sowie einen grauen fleckigen BetonfuÃboden. An der Wand über seinem Bett hing ein Holzkreuz. Kreuze hatte er bisher nur vom Friedhof gekannt. Und nun hing so etwas über seinem Bett, wie über einem Sarg. In der Ecke stand ein Schrank,in dem er seine wenigen Habseligkeiten verstaut hatte. Da waren zwei warme Pullover, ein paar Unterhosen, seine braune Lieblingscordhose, einige T-Shirts mit Supermann darauf, ein paar kleine Autos und sein Lieblingsbuch, das Buch von den Beerenkindern. Er kauerte sich auf seinem Bett zusammen und nahm seinen kleinen Stoffpinguin in den Arm, während er an die Decke starrte und sich fragte, warum er nicht zu Hause bei seinen Eltern sein konnte. Wann würde sein Vater endlich kommen und ihn abholen?
15
HAMBURG
Lina kam kaum aus dem kleinen Fahrstuhl, weil bereits sieben Patienten im Gang vor der Tür der Praxis von Doktor Herrmann warteten und ihr den Weg versperrten. Wie sie solche Tage liebte. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die Tür und machte das Licht an. Dann ging sie nach hinten, um ihren Mantel aufzuhängen, schaltete die Kaffeemaschine an und setzte sich an die Anmeldung vor den Computer. Wie an der Supermarktkasse standen die Patienten hier schon Schlange.
Die meisten kannte sie, hakte sie auf ihrer Liste ab und sagte ihnen, dass sie im Wartezimmer Platz nehmen könnten.
»Frau Kieljan, Sie können dann auch gleich ins Wartezimmer durchgehen.« Auch Frau Kieljan war eine langjährige Patientin von Doktor Herrmann und kam beinahe regelmäÃig, praktisch einmal die Woche.
»Ach, Sie hübsches Kind, ich habe gehört, Sie arbeiten nur noch drei Tage hier?«
»Ja, ich arbeite noch zusätzlich in einer Praxis für Hypnosetherapie.«
Die Tür zu einem der drei Behandlungszimmer ging auf, und Doktor Herrmann erschien. Er war Mitte fünfzig, trug eine kakifarbene Stoffhose und ein kirschrotes Polohemd, das seine Sonnenbankbräune hervorhob, strich sich über die grau melierten Haare und schätzte mit einem Blick über seine Patienten die Lage ab. Vor zwanzig Jahren, dachte Lina, war er sicher ein Sonnyboy und seine Frisur angesagt, aber inzwischen hatte er seine besten Tage hinter sich. Wie jeden Tag beobachtete sie ihn heimlich bei seinem morgendlichen Ritual. Inzwischen konnte sie an seinem Gesichtsausdruck erkennen, ob er eine Patientin für attraktiv hielt und ihr auch privat gerne mal eine Spritze verpasst hätte oder ob, wie heute, nichts für ihn dabei war. Er lächelte Lina zuund gab ihr ein Zeichen, dass es losgehen konnte. Hinter ihm erschien eine weitere Sprechstundenhilfe in weiÃer Kluft und holte sich die Patientenakten von Linas Tresen ab.
»Hypnose, wie interessant. Ich habe eine Nichte, die sich für solche Dinge interessiert. Können Sie mir vielleicht die Nummer geben?«
»Aber natürlich, Frau Kieljan. Doktor Ritter hält auch einmal im Monat einen Tag der offenen Tür im Hotel Intercontinental ab. Ihre Nichte kann gerne zusehen oder sich sogar selbst hypnotisieren lassen.«
Lina reichte ihr einen Zettel mit der Nummer von Doktor Ritter und widmete sich dann wieder dem Computer.
»Wie reizend von Ihnen. Also, ich habe ja wieder diese Schmerzen hier â¦Â« Glücklicherweise ging in diesem Moment die Tür zum Behandlungsraum auf, und Doktor Herrmann trat heraus. Ihm folgte ein Patient mit schmerzverzerrtem Gesicht, sodass Frau Kieljan ihren Bericht unterbrechen musste und Lina die Details ihrer Krankengeschichte, die sie bereits hundertfach gehört hatte, erspart blieben.
»Lina, rufen Sie bitte ein Taxi für Herrn De Baas, und stellen Sie
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