Gottesopfer (epub)
sondern auch spezielle Angsttherapien, die in Ihrem Fall sicherlich helfen könnten. Ich verspreche Ihnen, dass der Mann genial ist.« Lina hob die Augenbrauen, lächelte einladend und streckte Herrn Lange die Nummer entgegen. Zögerlich nahm er den Zettel und steckte ihn ein.
»Oder wollen Sie lieber einen Termin für die nächste Spritze haben?« Sie lächelte ihn neckisch an.
»Na gut«, sagte er resigniert, zog sich seine gefütterte Jacke an, setzte eine rote Skimütze auf und verlieà die Praxis, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Lina sah ihm nach und hoffte, dass sie dem Mann nicht zu viel versprochen hatte. Im Grunde genommen hatte sie keine Ahnung, ob diese Angsttherapien wirklich die gewünschte Wirkung hatten und ob sich die Patienten anschlieÃend ohne Murren eine Spritze geben lassen würden. Eigentlich glaubte sie nicht daran. Sie wartete, bis die Tür ins Schloss fiel, und holte sich dann einen Kaffee und ein Brötchen aus der Küche. Zeit fürs Frühstück.
16
Sam wachte am Morgen etwas orientierungslos auf. Dafür hatte er noch im Halbschlaf einen Geistesblitz: Die Antwort auf die Frage, warum der Mörder sein letztes Opfer nicht verbrannt hatte, war so banal, dass er fast darüber lachen musste. Lily hatte sie ihm mit ihrem Kugelbeispiel geliefert. Die Frau war einfach zu dick gewesen, als dass er sie wie die anderen aus der Wohnung schaffen und öffentlich hätte hinrichten können. Das machte den Mörder auf eine gewisse Art menschlich, denn er hatte das Gewicht seines Opfers nicht bedacht und improvisieren müssen.
Nachdem Sam gestern nach einigen Staus auf der Autobahn erst spätabends in seinem Hamburger Hotel angekommen war, hatte er vor lauter Müdigkeit nicht einmal mehr die Gardinen zugezogen. Vom Bett aus konnte er daher jetzt aus dem Fenster sehen. Es schneite, und obwohl es schon halb zehn Uhr morgens war, war es drauÃen düster. Diese Jahreszeit war mit drei Worten auf den Punkt gebracht: kalt, nass, dunkel. Er stand auf, stellte sich ans Fenster und sah nach unten auf die kleine StraÃe und den Parkplatz. Kein Mensch war zu sehen, ein paar Autos waren bereits vom Schnee freigeschaufelt worden, und andere hatten,nachdem sie davongefahren waren, dunkle Asphaltflecken hinterlassen.
Sam strich sich die Haare mit beiden Händen nach hinten und reckte sich. Dann setzte er sich wieder aufs Bett und wählte die Nummer der Salzburger Kripo. Reuter war noch nicht oder nicht mehr im Haus. Sam lieà sich die Handynummer geben und rief ihn an. Er musste es lange klingeln lassen, bis sich der Beamte mit österreichischem Akzent meldete: »Reuter.«
»Guten Morgen, hier spricht Sam OâConnor. Können Sie mir schon etwas mehr über Birgit Eschberger erzählen?«
»O ja, ich stehe gerade in der Leichenhalle mit dem Bericht in der Hand.«
»Na, was für ein Zufall! Ich bin sicher, Sie hätten mich auch gleich angerufen, oder?« Sam lehnte sich auf dem Bett zurück und sagte, ohne auf eine Antwort zu warten: »Ich bin ganz Ohr.«
»Also, das Tütchen, das Sie mir gegeben haben â¦Â Sie erinnern sich?«
»Ja, sehr genau sogar«, sagte Sam betont geduldig. Wer ihn gut kannte, wusste, dass Geduld nicht gerade seine Stärke war.
»Aus dem Laborbericht geht hervor, dass es sich dabei um Salz, Kräuter und Wachs handelt. Damit konnten wir nicht so richtig etwas anfangen. Die Elektrodenabdrücke auf der Brust der Toten sprechen dafür, dass er sie mehrfach wiederbelebt hat, bevor sie letztendlich an Kreislaufversagen gestorben ist. Die Beine beziehungsweise die Unterschenkel sind durch extreme Quetschungen gebrochen. Den Kopf hat er mit einem Küchenmesser abgetrennt. Es lag noch blutverschmiert im Bad. In der ganzen Wohnung haben wir keine verwertbaren Spuren gefunden, dafür Hunderte von Fingerabdrücken und Haare von unterschiedlichen Personen â¦Â Sind Sie noch da?«
»Reden Sie einfach weiter, Herr Reuter.« Sam machte sich eilig ein paar Notizen.
»Zu den Zeugen. Eine Verkäuferin aus einem gegenüberliegendenGeschäft hat noch spät die Abrechnung gemacht, und als sie den Laden verlieÃ, fiel ihr ein Mann auf. Er war schwarz gekleidet, mit einer schwarzen Mütze auf dem Kopf und einem schwarzen Tramperrucksack auf dem Rücken. GröÃe und Statur normal. Er war, so glaubt sie zumindest, dunkelhaarig. Das war
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