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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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Minute nur für ihn, mit stolzem, durchgedrücktem Rücken, die Hände bewegten sich wie Taubenflügel über ihr, und ihr Herz klopfte nur für ihn. Er war fasziniert von ihrer Grazie und Anmut.
    Â»Darf ich?« Als die Musik verstummte, hörte Lina auf zu tanzen und zog einen Stuhl vom Tisch, um sich zu setzen.
    Â»Aber bitte. Ich wusste gar nicht … ich meine, das Hotel hat mir dieses Restaurant empfohlen und …« Sam war verunsichert. Als Letztes hatte er das Mädchen aus der Kirche hier erwartet. Wahrscheinlich dachte sie jetzt, dass er sie verfolgte, dass er so eine Art Stalker war.
    Â»Darf ich Sie zu einem Glas Wein einladen?«
    Lina nickte, holte sich von der Bar ein sauberes Weinglas und setzte sich wieder an Sams Tisch.
    Â»Warum wohnen Sie in einem Hotel? Ist Ihre Wohnung abgebrannt, oder hat Ihre Frau Sie vor die Tür gesetzt?«
    Sam grinste, während er an seinem Weinglas nippte. »Sehe ich so aus, als wäre ich verheiratet?«
    Â»Na ja, in Ihrem Alter ist man verheiratet oder war es zumindest schon einmal.«
    Â»So, so. Ich wohne eigentlich in München und bin nur aus beruflichen Gründen zurzeit in Hamburg.« Sam schob sich die letzte Tapa, ein getoastetes Weißbrot mit Knoblauch, Olivenöl und Tomaten, in den Mund.

    Â»Wie ein Vertreter sehen Sie nicht gerade aus. Sie wirken irgendwie verloren, wie jemand, der auf der Suche nach etwas ist. Gehen Sie deshalb in die Kirche? Um Ihren Glauben wiederzufinden?«
    Sam lachte. »Nein, aber in einem gewissen Sinne haben Sie recht. Ich bin auf der Suche nach jemandem.«
    Â»Einer Frau?« Lina war neugierig und wollte jetzt endgültig wissen, ob der rätselhafte Mann, der ihr in den letzten Tagen immer wieder über den Weg gelaufen war, liiert war.
    Â»Mann oder Frau, das weiß keiner so genau«, war die Antwort von Sam, doch Lina ließ nicht locker.
    Â»Warum machen Sie so ein Geheimnis daraus?«
    Â»Erzählen Sie mir lieber etwas von sich. Arbeiten Sie hier?«, lenkte Sam ab.
    Â»Ich helfe meiner Mutter beim Bedienen und tanze jeden Samstag hier. Ansonsten arbeite ich bei einem Orthopäden und in einer Therapiepraxis. Ich wohne allein, bin nicht verheiratet und habe auch keinen Freund. Hm … was wollen Sie noch wissen?«
    Â»Wie hoch die Rechnung ist.« Sam nahm den letzten Schluck aus seinem Weinglas und sah auf die Uhr. »Es ist spät.«
    Â»Okay.« Lina wollte ihre Enttäuschung über das abrupte Ende ihrer Unterhaltung nicht zeigen, doch ganz verbergen konnte sie nicht, dass sein Verhalten sie vor den Kopf stieß. Sie gab dem Kellner ein Zeichen und erhob sich. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Sam.« Und damit ging sie in den hinteren Teil des Restaurants und verschwand in der Küche.
    Sie schlüpfte aus dem Rock und der weißen Bluse und zog sich ihre Jeans und den roten Wollpullover über. Sie war enttäuscht. Es wurmte sie, dass dieser Sam so kühl war, und je kühler er war, desto mehr schien sie sich für ihn zu interessieren. Immer das alte Katz-und-Maus-Spiel, dachte Lina. Sie musste sich eine andere Strategie für diesen Mann überlegen. Doch als sie durch die Schwingtür wieder ins Restaurant trat, war der Tisch, an dem Sam gesessen hatte, bereits leer.

23
    Am nächsten Morgen rief ihn Professor Klein an. Sam hatte nicht so schnell mit diesem Anruf gerechnet und sich eingestehen müssen, dass er sehr ungelegen kam. Lily war laut dem Arzt wieder gesellschaftstauglich, und Sam hatte ein Versprechen gegeben. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als einen Flug nach München zu buchen, seine Schwester aus der Klinik abzuholen und wieder nach Hamburg zu fliegen. Lily würde, bis der Fall geklärt war, im Zimmer neben ihm im Hotel wohnen. Zwar überkamen ihn immer wieder Ängste, beschlichen ihn Zweifel, ob er das Richtige getan hatte, doch hätte er Lily nicht allein in der Münchner Wohnung lassen können.
    Er lehnte sich gegen die Fensterbank und sah Lily zu, wie sie die Schatulle mit ihren Buntstiften öffnete und die durcheinandergeratenen Stifte farblich sortierte. Wieder einmal dachte er, wie ähnlich sie ihrer Mutter war. Zum Glück jedoch nur äußerlich.
    Roswitha war in jungen Jahren eine Schönheit gewesen. Dunkelbraune schulterlange Haare, große braune Augen mit einem bernsteinfarbenen Kranz um die Pupillen, eine kleine Nase, volle

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