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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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Klostergarten. Es war Sommeranfang, die stattlichen Bäume überragten mit ihren saftig grünen Baumkronen den Dachfirst des Hospizes. Die Blumen am Rand der Wege waren sorgsam ausgewählt worden, die weißen Stiefmütterchen bildeten einen schönen Kontrast zu den dunkellila Gladiolen. Die große Rasenfläche in der Mitte des Gartens war umrandet von Büschen, die zu spitzen Kegeln zurechtgestutzt worden waren und wie Zwergenhüte in den Himmel ragten. Lukas kannte inzwischen jeden Strauch, jeden Busch, jeden Baum und jede Dorne an den Rosensträuchern. Er wusste, welche Blume zuerst blühte und welche als letzte verwelkte, wenn es Herbst wurde.
    Pater Paul war für ihn in den letzten Jahren zu einem Ersatzvater geworden, und dafür war Lukas mehr als dankbar. Jeden Tag nach der Schule besuchte er den alten Mann in seinem Zimmer, aß mit ihm dort gemeinsam zu Mittag und schob ihn anschließend bei Regen und bei Sonnenschein durch die Klosteranlage. Abends las er ihm aus der Bibel oder anderen Büchern vor.
    Wie jeden Nachmittag blieb Lukas einen Augenblick bei den dunkelroten Rosenbüschen stehen, weil sie Pater Paul so gefielen. »Mein Junge«, sagte der alte Priester, »ich habe dir in den letzten Jahren sehr viel beigebracht. Über eines haben wir noch nicht gesprochen.« Der linke Fuß des alten Mannes begann zu zittern, und die Decke rutschte zur Seite. Lukas ging um den Stuhl herum und deckte ihn wieder richtig zu, als der Pater seine gesunde Hand auf Lukas’ Schulter legte.
    Â»Du kommst jetzt in das Alter, in dem sich das andere Geschlecht für dich interessieren könnte. Denke immer daran, die Liebe ist trügerisch. Sie ist wie eine Rose, die dich zunächst mit ihrer vollkommenen Schönheit verzaubert, aber unter dieserpurpurnen Vollendung erwarten dich nichts als spitze Dornen.«
    Â»Ich möchte ein Diener Gottes werden.«
    Pater Paul lächelte. »Das wirst du auch, mein Junge.« Das war es zwar, was er hören wollte, aber er musste seinem Schüler noch einige Lektionen erteilen, damit dieser sein Werk weiterführen konnte. Er hatte, das wusste er, nicht mehr viel Zeit. Sein Herz war nicht mehr das stärkste. Außerdem war er der letzte Überlebende.
    Â»Was weißt du über den Teufel, Lukas?«
    Lukas schob den Rollstuhl weiter und dachte nach, was ihm alles zum Teufel einfiel.
    Â»Er ist ein gefallener Engel, der sich gegen Gott aufgelehnt hat. Er steht für die Lügen und personifiziert das Böse.«
    Pater Paul nickte zustimmend. »Und er trägt viele Namen. Satanas, Behemoth, Beliar, Luzifer, Beelzebub und Dämon, um nur ein paar zu nennen. Schieb mich dort neben die Bank, und gib mir einen Schluck zu trinken.«
    Lukas tat, wie ihm geheißen, stellte den Rollstuhl neben die steinerne Bank, sicherte ihn, damit er nicht wegrollen konnte, und holte aus einer Baumwolltasche eine Thermoskanne und einen Becher hervor. Dann goss er dem alten Mann Kräutertee in den blauen Plastikbecher und setzte sich neben den Rollstuhl auf die kalte Bank. Beim Trinken kleckerte Pater Paul die Hälfte des Tees auf die Decke, doch Lukas säuberte sie schnell mit einem kleinen Handtuch.
    Â»Die Kräfte des Bösen sind am Werk, Lukas. Die Gesellschaft hat sich von Gott abgewandt. Es gibt keine Moral und keine Ethik mehr. Der Untergang naht. Vor einigen Jahrhunderten hat die Kirche drastische Maßnahmen ergriffen, um die Ungläubigen zu bekehren oder sogar zu vernichten. Und glaube mir, da hatte man noch Respekt und Achtung vor uns Kirchendienern. Doch es gibt noch heute einige wenige, die die damaligen Methoden gutheißen. Und sie sind sich einig, dass der Anfang allen Übels das Weib ist.«

    Lukas, der die ganze Zeit seine braunen Lederschuhe fixiert hatte, an deren Seiten sich bereits die Sohlen vom Leder lösten, sah Pater Paul in die Augen. Das eine Auge war milchig blau und blind, das andere dafür umso klarer und so strahlend blau wie ein Bergsee. Und genau dieses Auge blickte ihn jetzt scharf an. Lukas dachte an Schwester Augustina, die ihn immer herumkommandierte, und an seine Mutter. Er musste dem Pater recht geben. Sie war schuld an allem. Sie hatte dafür gesorgt, dass er hier saß, dass man ihn ausgeschlossen, ja verdammt hatte. Er nickte, ohne es zu merken. Ja, der Anfang allen Übels war das Weib.

22
    HAMBURG
    Das kleine spanische Restaurant im Hamburger Szeneviertel

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