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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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fand, sammelte sie und legte es auf die Veranda ihres Bungalows. Lilys Freunde sorgten sich langsam um sie. Dann begann Lily, mit Geistern zu reden und in klatschnassen Kleidern durch die Straßen zu gehen, und die Thai, diesich sehr vor Geistern fürchteten, liefen in Todesangst vor der seltsamen Europäerin davon. Lilys Freunde fuhren mit ihr in die nächste größere Stadt und brachten sie zu einem Arzt.
    Als würde er neben sich stehen, hörte sich Sam selbst reden, und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, was er da sagte. »Dann begann Lily mit Geistern zu reden …«
    Â»Wie ging es weiter?«, unterbrach Doktor Willfurth seine Gedanken.
    Sam überlegte einen Augenblick und nahm dann den Faden wieder auf: »Auf dem Flughafen in Bangkok hat sich dann alles etwas zugespitzt. Sie hat sich alle fünf Minuten umgezogen. Tuch an, Tuch aus, Hose an, Hose aus, Pulli an, Pulli aus. Dann hat sie sich mitten in der Abfertigungshalle auf den Fußboden gelegt und geschlafen. Kurz vor dem Start habe ich ihr Valium in den Saft getan, das mir der Arzt in der Klinik gegeben hatte. Da war sie erst einmal ruhig. Leider wurde sie nach fünf Stunden Flug wieder wach und wollte rauchen. Ich habe ihr die Zigaretten weggenommen. Da ist sie total ausgerastet. Hat ihre Tasche auf den Boden geworfen, geflucht, gegen den Vordersitz getreten, bis ich sie an den Stuhl gebunden habe und sie mich nur noch wüst beschimpfte. Sie können sich ja denken, wie die anderen Passagiere uns angestarrt haben.«
    Â»Ein angenehmer Flug also.« Der Arzt sah Sam voller Mitleid an.
    Â»So kann man es ausdrücken.« Sam schluckte. »Am Flughafen in München wurden wir von der Polizei erwartet. Da ich aber selbst Polizist bin, war es mir gestattet worden, sie selbst in die Klinik nach Semmerling zu bringen. Dort kam sie zur Ruhe. Ihr Arzt war ganz begeistert von ihren Fortschritten und hat mir vor ein paar Tagen erlaubt, sie aus der Klinik abzuholen.«
    Â»Und warum sind Sie jetzt in Hamburg?«
    Â»Ich arbeite gerade an einem Fall. Der Hauptverdächtige lebt hier in Hamburg. Und ich konnte Lily ja schlecht allein in München lassen.«
    Sam sah mit leerem Blick vor sich hin. Er hatte es total vermasselt.Warum war er nur so naiv gewesen und hatte geglaubt, dass wieder alles von selbst in Ordnung kommen würde?
    Â»Machen Sie sich keine Vorwürfe. Damit konnte keiner rechnen. Keiner von uns kann in ihren Kopf hineinsehen. Und solche plötzlichen Rückfälle sind nicht ungewöhnlich. Wir behalten sie erst einmal hier. Hier in der Klinik ist sie unter ständiger Beobachtung, sie wird sich in diesem Zustand nichts antun können. Und in ein paar Tagen sieht alles vielleicht schon wieder ganz anders aus.«
    Sam nickte wortlos. Dann verabschiedete er sich und trat auf den Gang hinaus. Dort geisterte noch immer die Patientin von vorher herum. Plötzlich drehte sie wie eine aufgezogene Puppe mit einem Ruck ihren Kopf zu Sam, sah ihm direkt in die Augen und öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei. Sam wich zurück und stolperte rückwärts gegen die Wand. Er hatte das Gefühl, in eine Fratze aus einem Horrorfilm zu schauen.
    Die Beine angewinkelt, die Arme schlaff neben den Körper gelegt und den Kopf nach hinten an die Wand gelehnt, saß Sam etwas später in seinem Hotelzimmer auf dem Bett und beobachtete, wie die Regentropfen am Fenster herunterrollten. Manche Tropfen vereinten sich mit anderen. Dann wurden die Rinnsale dicker und schneller, jagten anderen nach, bis sie zusammen mit den anderen Tropfen die Pfütze auf dem Fenstersims erreichten. Ein besonders dicker Tropfen klatschte an die Scheibe, rann herunter und verschwand ebenfalls in der Pfütze. Im Nichts. Nichts war mehr übrig, dachte Sam trostlos. Sein Vater war tot, seine Mutter existierte für ihn nicht mehr, und Lily war in der Klapsmühle. Dieses Mal wohl für immer. Und Freunde? Freunde hatte er früher, an der Uni, gehabt. Doch dann fing er an zu arbeiten, stieg auf, und auf einmal hatte er nur noch Feinde und Neider um sich herum, und die sogenannten Freunde wurden immer weniger. Doch, einen Freund hatte er. Noch. Sam wählte die Nummer in der Schweiz und hoffte, dass er mit Argault reden konnte. Vielleicht besiegte er den Krebs doch, und sie würden wieder wiefrüher stundenlang Opern hören. Alles sollte sein wie früher. Als sich nach dem zehnten Klingeln keiner

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