Gottesopfer (epub)
Hörsaal »Phil B« in die letzte Reihe. Professor Erwin Patzold beendete gerade seine Vorlesung.
»In der nächsten Sitzung reden wir über die religiösen Bewegungen im Mittelalter.«
Er schloss sein Skript, und an die hundert Studenten klopften auf ihre Tische, erhoben sich dann von den Sitzen und fingen an zu reden. Innerhalb von Sekunden stieg der Geräuschpegel so an, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Die beiden Polizisten standen ebenfalls auf und gingen gegen den Strom der Studenten die Treppen nach unten zum Professor.
Professor Erwin Patzold war ein relativ attraktiver, durchtrainierter Mann um die fünfzig mit vollem grauen Haar. Seine Lesebrille hatte er wie eine Sonnenbrille nach oben auf den Kopf geschoben. Er war leger gekleidet, trug ein schwarzes Hemd, das er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte, eine dunkelgrüneCargohose und hellbraune Halbschuhe. Er packte gerade seine Bücher in eine mehrfach geflickte Lederaktentasche. Wahrscheinlich ein Ãberbleibsel aus seiner eigenen Studentenzeit, dachte Sam.
»Ah, die Herren von der Polizei! Lassen Sie uns in mein Büro gehen. Da können wir ungestört reden.«
Im Büro des Professors, einem kleinen, schlecht belüfteten und nach altem Papier riechenden Raum, setzten sich die drei an einen runden Konferenztisch. Sam breitete die Fotos der Opfer vor Professor Patzold aus.
»An was erinnert Sie das?«, fragte Sam. Er war gespannt. Waren das wirklich mittelalterliche Foltermethoden, wie Pater Dominik behauptet hatte?
Professor Patzold nahm die Brille vom Kopf und setzte sie sich auf die Nase. Dann betrachtete er eingehend die Fotos, ohne ein Wort zu sagen oder eine Miene zu verziehen. SchlieÃlich sah er die beiden Polizisten an. »Sie wollen meine ehrliche Meinung?«
Juri und Sam nickten.
»Das erinnert mich an die Ketzer- und Hexenprozesse, die Inquisition. An die Folter als Verhörmittel. Das hier zum Beispiel â¦Â«, er zeigte auf Catharina Kil, »â¦Â das ist ein spanischer Bock. Ein dreikantiges Holz, auf das man die angebliche Hexe setzte. Die schweren Gewichte an den FüÃen dienten dazu, den Körper zu beschweren, damit die messerscharfe Klinge sich in den Körper bohren konnte. Man lieà das Opfer stundenlang darauf sitzen. Das andere ist eine Wasserprobe. Die Quetschungen an den Unterschenkeln stammen vermutlich von einem spanischen Stiefel oder Beinschrauben, und das Verbrennen diente der Reinigung. Gereinigt und geläutert, so glaubte man, konnte die Seele in das Himmelreich eingehen.«
»Was war mit Enthauptungen?«, fragte Sam.
»Verbrennen, Enthaupten, Hängen â das alles waren Todesstrafen. Die Strafe war jedoch erst vollzogen, wenn der Schuldige komplett ausgelöscht war, wenn seine Asche in alle Winde verstreut war.«
Komplett ausgelöscht hat der Mörder keines seiner Opfer, überlegte Sam und sagte laut: »Das bedeutet im Klartext, dass er keine Strafe zu Ende geführt hat. Verstehe ich das richtig, Professor?«
»Ja, so würde ich es sehen. Es scheint, als würde Ihr Mann noch experimentieren.«
Sam dachte an die Feuerstelle im Dominikanerkloster in Günterstal.
»Sagen Sie, hatten die Dominikaner etwas mit der Inquisition oder dergleichen zu tun?«
»Allerdings. Der Dominikanerorden wurde 1214 vom heiligen Dominikus gegründet. Man nannte sie auch die Schwarzen Brüder, weil sie schwarze Kutten trugen. 1216 wurde der Orden offiziell vom Papst anerkannt, was bedeutete, dass sie befugt waren, ihre Lehre zu verkünden und die Beichte abzunehmen. Während der Inquisition wüteten sie in ganz Europa, töteten Hexen und Ketzer. Nun hieÃen sie domini canes , Hunde des Herrn. Ich glaube, das sagt alles.«
Sam kratzte sich am Hinterkopf. Er fragte sich, ob die Mönche in Günterstal die Inquisition hatten aufleben lassen und im Hof des Klosters sündige Frauen hingerichtet hatten. Doch selbst wenn dem so war, war keiner der Mönche von damals noch am Leben oder in der Lage, nun wieder zu töten.
»Die Opfer, die Sie hier sehen, hatten alle etwas mit Esoterik, mit spiritistischen Sitzungen zu tun. Können Sie uns dazu etwas sagen?«, warf Juri ein und suchte Sams Blick, der ihm bestätigend zunickte, um ihm zu zeigen, dass er damit einverstanden war, wenn sich sein Assistent in die Befragung einschaltete.
»âºGegen einen, der sich an
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