Gottesopfer (epub)
meldete, legte er auf.
Auf seinem Nachttisch lagen sein iPod und ein zusammengefalteter Zettel, den er sich im Büro schnell noch in die Tasche gesteckt hatte. Sam wählte die Nummer darauf, und schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine Frauenstimme: »Hospiz zum Weg ins Licht, Schwester Angela.«
Sam stellte sich kurz vor und fragte nach Pater Paul. Doch Schwester Angela war erst seit etwa drei Jahren im Hospiz und konnte ihm keine Auskunft geben. Zumindest gab es dort heute keinen Pater Paul, das konnte sie ihm versichern. Sie bat ihn, später noch einmal anzurufen, wenn Schwester Maria Dienst hatte, sie sei seit Jahrzehnten im Hospiz und könne ihm sicherlich weiterhelfen.
Sam legte auf, stöpselte sich die Kopfhörer seines iPod in die Ohren und lieà sich von Plácido Domingo in die Welt der Oper entführen. Nur einen Moment, dachte Sam. Nichts denken, nichts fühlen. Doch um an nichts zu denken, hätte man ihn wohl bewusstlos schlagen müssen. Er konnte einfach nicht abschalten. Nach der ersten Arie zog er die Ohrstöpsel wieder aus den Ohren und ging ins Bad. Als er sich gerade Wasser ins Gesicht spritzte, klopfte es.
Sam trocknete sich schnell ab und öffnete die Tür. Vor ihm stand Juri mit einer groÃen braunen Tüte auf dem Arm.
»Abendessen! Dachte, du hast vielleicht Hunger.« Er schwenkte die Tüte vor Sams Gesicht und trat ein. »Nachdem du so fluchtartig das Büro verlassen hast, dachte ich, ich sehe mal nach dir. Ach ja, für morgen haben wir einen Termin bei einem Geschichtsprofessor. Der kann uns sicher was über Folter und diese Wasserprobe erzählen. Und dann hat noch mal der Typ aus dem Bischofsamt in Freiburg angerufen und mir erzählt, dass zwei von den Mönchen noch am Leben sind.«
Sam sah ihn erwartungsvoll an.
»Freu dich nicht zu früh. Der eine hat Alzheimer, und der andere liegt im Sterben.« Juri öffnete die weiÃen Styroporbehälterund reichte Sam eine weiÃe Plastikgabel. Der unverkennbare Duft von chinesischem Essen zog durch das kleine Zimmer.
»Hast du schon in dem Hospiz angerufen?«, fragte ihn Juri mit vollem Mund.
»Ja, aber ohne Erfolg. Ich versuche es später noch einmal. Hast du die Familie Ingelheim in Salzburg erreicht?«
»Ja. Frau Ingelheim war erst nicht sehr gesprächig. Erst als ich ihr versicherte, dass wir über die spiritistische Sitzung in ihrem Haus im Bilde seien, bestätigte sie, dass Pater Dominik der einzige Mann gewesen ist. Der Rest waren alles Frauen.« Juri schob sich eine weitere Gabel mit Reis und Schweinefleisch in den Mund und fragte etwas undeutlich: »Was war denn vorhin los?«
Sam sah kurz auf und zögerte. Dann erzählte er von Argault und dem Krebs, ohne Juri dabei anzusehen. Er log nicht gerne, aber er wollte einem Arbeitskollegen keine so persönlichen Dinge erzählen. Ganz abgesehen davon, wusste man nie, ob die Geschichte mit Lily nicht irgendwie gegen ihn verwendet werden konnte.
Nach dem Essen wählte Sam noch einmal die Nummer von dem Hospiz. Dieses Mal hatte er mehr Glück, denn nun hatte er Schwester Maria am Apparat.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie mit leiser Stimme, nachdem Sam sich vorgestellt hatte.
»Ich hätte gerne ein paar Informationen über Pater Paul.«
»Ach, guter Mann, der ist doch schon lange tot. Er ist vor zwölf oder dreizehn Jahren gestorben.«
Sam sah zu Juri hinüber und zeigte mit dem Daumen nach unten. Noch eine Sackgasse. Aber hatten sie tatsächlich erwartet, dass ein alter Mann, der bereits einen Schlaganfall gehabt hatte, nach so vielen Jahren noch am Leben war?
»Wie ist er denn gestorben?«
»Hm â¦Â Lassen Sie mich kurz nachdenken â¦Â er bekam einen Herzanfall. Wir konnten ihm nicht mehr helfen.«
»Und wann genau war das?«
»Oh, das weià ich nicht auswendig. Warten Sie einen Moment, ich sehe in den Akten nach.« Er hörte, wie sie den Hörer zur Seite legte und sich ihre Schritte entfernten. Nach einer Weile kam sie zurück.
»Hören Sie? Pater Paul ist in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 1995 gestorben.«
»Wie lange war er bei Ihnen im Hospiz?«
»Ungefähr fünf Jahre. Er kam 1990. Eine lange Zeit, wenn man bedenkt, wie kurz viele andere hier sind, bis sie heim zu Gott gehen.«
»In der Tat. Ist in der Zeit, in der er bei Ihnen war, irgendetwas
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