Gottesopfer (epub)
Ungewöhnliches passiert? Ist vielleicht eine Frau verschwunden?«
»Also, hören Sie mal! Was unterstellen Sie da einem Mann Gottes! Ganz abgesehen davon, konnte er sich kaum bewegen. Er saà im Rollstuhl.«
»Vielen Dank, Schwester Maria, Sie waren mir eine groÃe Hilfe.« Sam legte auf.
Am anderen Ende der Leitung stand die Nonne noch einen Moment nachdenklich am Telefon, bevor auch sie auflegte. Ihr war gerade eingefallen, dass damals tatsächlich etwas Ungewöhnliches passiert war. Aber vielleicht war das gar nicht wichtig, und der Polizist hatte ja auch nur nach Pater Paul gefragt.
1995
»Der Junge ist des Teufels, Pater Paul. Es werden schreckliche Dinge geschehen.«
»Was reden Sie denn da, Schwester Augustina?«
Lukas blieb hinter der Tür stehen und achtete darauf, dass er nicht in den Lichtstrahl trat, der aus dem Inneren des Zimmers auf den Flur fiel.
»Ich habe es gesehen.«
»Was haben Sie gesehen? Sie hören sich ja an wie eine Wahrsagerin auf dem Jahrmarkt.«
»Glauben Sie mir, Pater, ich habe schon öfter solche Vorahnungen gehabt.«
»Ach, das ist doch Unsinn!«
»Er trägt eine schwere Bürde aus verâ¦Â«, mehr konnte Lukas nicht verstehen, weil die Schwester die letzten Worte nur noch sehr leise sprach. Plötzlich herrschte Stille. Offenbar war Lukas zu dicht an die Tür getreten, sodass sie sich leicht bewegt hatte. Dann hörte er Schritte, die sich der Tür näherten. Lukas schlich auf Zehenspitzen in sein Zimmer und warf sich schnell aufs Bett, als hätte er dort schon die ganze Zeit gelegen. Doch niemand kam, und so legte er sich auf den Rücken und sah an die Decke.
Was meinte die Schwester damit, dass sie Vorahnungen hatte? Hatte sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um in die Zukunft zu sehen? Um seine Zukunft zu sehen? Lukasâ blaugrüne Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Es wurde Zeit. Wenn sie es so wollte, passierten eben schreckliche Dinge. Noch heute Nacht, dachte Lukas, und eine Welle unbändigen Hasses überkam ihn. Ein Hass, der sich in den letzten Jahren der Demütigung und Nichtbeachtung in ihm aufgestaut hatte. Sie hatte ihn die Drecksarbeit machen lassen, ihn jahrelang putzen und die Alten durch den Garten schieben lassen, ihn als billige Arbeitskraft ausgenutzt. Ja, Pater Paul hatte recht, der Anfang allenÃbels war das Weib, und er war hier, um zumindest diesem Weib eine Lehre zu erteilen. Er war ein Engel auf Erden, und dieses Weib verdiente eine gerechte Strafe.
In der Nacht hörte man aus dem Dormitorium im Südflügel gellende Schreie. Hellrote Flammen leckten wie gierige Teufelszungen an den Wänden und verschlangen alles. Die Schwestern standen verschreckt drauÃen vor dem Gebäude. Nur eine fehlte. Als die Feuerwehr die Flammen gelöscht hatte, fand man in der Zelle von Schwester Augustina lediglich einen schwarzen, verkohlten Körper, die Arme gen Himmel gestreckt, als hätte sie in den letzten Sekunden vor ihrem schrecklichen Tod noch zu Gott gebetet.
Man ging davon aus, dass eine Kerze Schwester Augustinas Matratze in Brand gesetzt und dass das Feuer sie im Schlaf überrascht hatte. Merkwürdigerweise war jedoch nur die eine Hälfte ihres Zimmers verbrannt, der Rest war wie durch ein Wunder verschont geblieben. Dort waren nur die Wände ruÃgeschwärzt, und in einer Ecke fand man etwas, was jeglicher Logik entbehrte. Deshalb verloren die Schwestern kein Wort mehr darüber.
30
In der Nacht wachte Sam immer wieder auf. Der Regen trommelte gegen das Fenster, es klang wie der Applaus eines unsichtbaren Publikums. In seinem letzten Albtraum sah Sam die Frau aus der Klinik vor sich, ihre verzerrte Fratze mit dem weit aufgerissenen Mund, und er fuhr schweiÃnass hoch. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr zeigten auf fünf. Eigentlich zu früh zum Aufstehen, aber auf weitere Albträume konnte er verzichten. Er knipste die Nachttischlampe an, stand auf und nahm die Liste vom Tisch, die er schon seit Tagen durchgehen wollte. Die Liste der tausend Brände, wie er sie nannte.
Um acht hatte er gerade mal die Hälfte geschafft. Doch keiner der Fälle hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er lieà sich ein Bad ein, um sich zu entspannen und um seine Gedanken für das kommende Gespräch mit dem Geschichtsprofessor zu sammeln.
Sam und Juri waren etwas früher als verabredet an der Uni und setzten sich in
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