Gottesopfer (epub)
Polizei rufen. Als sie sie gesehen haben, haben sie Ihre Schwester direkt nach Ochsenzoll gebracht.«
»Ochsenzoll?«
»Na ja, in die Klapsmühle.«
Der Mann war nicht besonders taktvoll. Leichter Ãrger stieg in Sam auf, als der Manager die Tür öffnete und Sam schlagartig das ganze Ausmaà des Vorfalls bewusst wurde.
»Sie werden verstehen, dass wir die Renovierung des Zimmers auf Ihre Rechnung setzen müssen«, sagte der Manager.
Von den Wänden starrten Sam verzerrte schwarze Fratzen an. Direkt über das Bett hatte Lily ein groÃes schwarzes Auge gemalt. In ihrer Vorstellung hatte es sie wahrscheinlich beobachtet.
»Wahrscheinlich war ihr Block voll«, meinte Sam trocken und begutachtete weitere Schäden im Zimmer.
»Finden Sie das etwa komisch?« Der Hotelmanager war sichtlich entrüstet und blieb dicht hinter Sam.
Auf dem Bett lag nur noch die nackte Matratze, auf der Teile eines Sternes zu erkennen waren, den Lily mit schwarzer Kohle gemalt hatte. Um das Bett herum standen etwa zwanzig weiÃe Kerzen. Wusste der Himmel, woher sie die hatte, aber einige davon waren umgefallen und wohl die Ursache für die groÃen Brandlöcher im Teppich. Offenbar hatte der Rauch die Sprinkleranlage ausgelöst, die den Teppich unter Wasser gesetzt hatte. Oder das Wasser kam aus der Badewanne, überlegte Sam, der inzwischen ins Bad gegangen war und sah, dass die Wanne bis zum Rand gefüllt war. Die gesamte Bettwäsche lag darin, und dunkle Haarsträhnen schwammen auf der Wasseroberfläche. Das Waschbecken war ebenfalls voller Haare, am Rand lag ein rosa Damenrasierer, daneben stand eine offene Dose Rasierschaum. Duschgel, Shampoo und Conditioner waren auf dem Boden ausgeschüttet worden und hatten die Fliesen in eine schmierige, glitschige Oberfläche verwandelt.
Beim Anblick der abgeschnittenen Haare bekam Sam eine Gänsehaut.
Der Hotelmanager folgte Sams Blick und sagte verächtlich: »Als man sie fand, saà sie nackt und kahl in der Ecke des Zimmers und wippte hin und her. Ich möchte ja nichts sagen, aber hätten Sie uns nicht vorher darüber informieren können, dass Ihre Schwester â¦Â na ja â¦Â krank ist?«
Sam ging nicht darauf ein und fragte: »Wohin, sagten Sie noch, hat man sie gebracht?«
»Nach Ochsenzoll.«
In der geschlossenen Abteilung in Ochsenzoll wollte man ihn nicht zu Lily lassen. Er durfte nur durch ein Fenster in der Tür in ihr Zimmer sehen. Dort lag sie auf dem Bett, wie ein gefällter Baum, festgebunden mit einem Gurt und offenbar ruhig gestelltmit Medikamenten. Es zerbrach ihm schier das Herz. Doktor Willfurth, der zuständige Arzt, klopfte ihm väterlich auf die Schulter. »Es ist nicht das erste Mal, stimmtâs?«
Sam wischte sich mit dem Handrücken eine Träne ab und drehte sich zu dem Arzt um, den er erst jetzt richtig wahrnahm. Er war relativ jung, höchstens vierzig, war etwa so groà wie Sam, hatte kurz geschnittenes braunes Haar und unauffällige graublaue Augen. Er hatte ein Klemmbrett unter dem Arm und betrachtete seine neue Patientin sorgenvoll durch das Fenster.
»Ich hätte da noch ein paar Fragen an Sie. Kommen Sie, wir gehen in mein Büro.«
Sam nickte stumm und sah an dem Arzt vorbei. Hinter Doktor Willfurth schlurfte eine Patientin den Gang entlang. Ihr Mund bewegte sich, als würde sie mit jemandem reden. Wie Sam diese Kliniken hasste.
Als sie in Doktor Willfurths Zimmer angekommen waren, bot der Arzt Sam einen Platz vor dem Schreibtisch an. »Erzählen Sie mir vom letzten Mal.«
Sam schilderte, wie er Lily vor gut zwei Monaten aus Thailand geholt hatte. Er ermittelte gerade in einem Fall in Frankfurt, als ihn ein Freund von Lily aus Thailand anrief und ihm erzählte, dass seine Schwester in einer psychiatrischen Klinik sei.
Lily war im Sommer 2007 zusammen mit Freunden nach Thailand geflogen. Sie hatte die Grafikschule in München geschmissen und sich entschieden, erst einmal eine Auszeit zu nehmen. Sie besuchten Tempel und Klöster, machten Wanderungen, genossen die Sonne und die Freundlichkeit der Thai. Lily schrieb begeisterte Postkarten an ihren Bruder. Alles schien in Ordnung. Dann erreichten sie eine kleine Insel, und dort begann es. Lily kaufte wahllos Schmuck, Schuhe und Klamotten, die sie anschlieÃend verschenkte. Müll wie Plastikbecher, Steine, Papier, Draht, alles, was sie auf der StraÃe
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