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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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hin zu grübeln. Nun standen Juri und er in einer Menschenschlange vor dem italienischen Restaurant »Palladin«. Vor ihnen warteten zwei junge Frauen, beide in engen Hosen und hochhackigen Stiefeln. Juris Blick ging abschätzend von einem Hintern zum anderen, wie Sam amüsiert feststellte.
    Â»Sag mal, was ist denn das für ein Laden? Warum muss man hier anstehen? Gibt’s in Hamburg sogar vor den Restaurants Türsteher?«, fragte Sam.
    Â»Lass dich überraschen«, meinte Juri grinsend.
    In diesem Moment erschien jemand in der Tür. »Bitte zuerst die signori «, sagte ein kleiner Italiener mit starkem Akzent, und schon lösten sich etwa zwanzig Männer aus der Schlange und bewegten sich langsam in Richtung Eingang.
    Als Sam das Restaurant betrat, fiel ihm auf, dass alles rot war. Rote Wände, rote Lampenschirme, rote Kerzen, rote Tischdecken und rote Servietten, sogar die Kellner trugen rote Schürzen und rote Krawatten. Auf den Tischen standen jeweils eine Flasche Rotwein und vier Gläser, zwei für Wein, zwei für Wasser.
    Ein dunkelhaariger Italiener in weißem Hemd und Jeans begrüßte seine männlichen Gäste mit einem Kopfnicken und sorgte dafür, dass sich jeder allein an einen Tisch setzte. Dann rieb er sich die Hände und sagte mit tiefer Stimme: »Guten Abend, meine Herren. Es freut mich, dass Sie so zahlreich zu unserem zehnten Speed-Dating erschienen sind. Heute Abend werden Sie vielleicht Ihre Traumfrau kennenlernen. Die Regeln sind ganz einfach. Sie haben für jede signora fünf Minuten Zeit, und am Schluss können Sie sich bei einem Essen oder einem Glas vino näher kennenlernen.«

    Drei Kellner begannen, die Weinflaschen auf den Tischen zu öffnen und den Gästen einzuschenken.
    Sam, der vor Juri an einem Tisch saß, drehte sich um und warf seinem Kollegen einen Blick zu, der so viel wie »Na warte!« bedeutete. Juri grinste jedoch nur und nahm einen kräftigen Schluck Wein.
    Â»Was soll ich denn in den fünf Minuten machen?«, fragte Sam leicht genervt.
    Â»Nur zuhören. Du wirst dich amüsieren, glaub mir. Du musst dich nur auf die Frauen einstellen, Sam.«
    Wie sollte er sich ausgerechnet heute auf andere Frauen einstellen? Am Tag nach Lilys Zusammenbruch? Er ärgerte sich jetzt, dass er mitgekommen war.
    Juri dagegen war voller Vorfreude. Bisher hatte er kein Speed-Dating verpasst und war jedes Mal in Begleitung nach Hause gegangen. Zwar entpuppte sich manche signora , die abends bei Kerzenschein aussah wie zwanzig, morgens im Bett als faltige Vierzigjährige. Aber wie hieß es so schön: Nachts sind alle Katzen grau. Und außerdem wusste er inzwischen, wie er seine Eroberungen schnell wieder loswerden konnte. Er sah nach dem Aufwachen panisch auf die Uhr und rief: »Scheiße, meine Frau kommt gleich von der Nachtschicht!« Das funktionierte immer, und dann konnte er allein seine heiße Schokolade zum Frühstück trinken.
    Die Tür ging auf, und mit der kalten Luft strömten warme Frauenkörper in das Restaurant. Ein Kellner hielt ihnen eine Box entgegen, aus der sie herzförmige Lose mit einer Nummer zogen – der Nummer des Tisches, an den sie sich als Erstes setzen sollten. Nach wenigen Minuten hatte jede ihren Platz und einen Mann gefunden. Stimmen erfüllten den Raum. Das Geplapper geht los, dachte Sam missmutig.
    Sam hatte als Erstes eine junge Frau vor sich. Sie war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, und ihre Haare standen in Regenbogenfarben in alle Richtungen vom Kopf ab. Ihre Augen waren blau geschminkt, und sie trug einen Nasenring. Sie warFriseurin, wollte sich nun aber zur Kosmetikerin ausbilden lassen. Zu seinem Glück sprach sie wie ein Wasserfall, sodass Sam nur nicken musste. Er war heilfroh, als das Glöckchen ertönte, alle Damen sich erhoben und einen Tisch weiter wanderten.
    Seine nächste Gesprächspartnerin war angeblich Mitte vierzig, sah aber aus wie Mitte fünfzig. Sie hatte blond gefärbte Haare, und ihr Dekolleté war auffallend üppig. Vermutlich, dachte Sam, das Werk eines geschickten Chirurgen. Allerdings war sie geschmackvoll gekleidet, trug eine schicke weiße Bluse, eine schwarze Hose und hohe schwarze Stiefel. Sie hatte eine Boutique in Eppendorf, die jedoch momentan aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht gut lief. Sie trank in den fünf Minuten ein ganzes Glas Wein und ließ Sam nicht zu Wort kommen.

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